Stumpfsinnige und geisttötende Übungen
Zum Hobby-Pädagogen berufen fühlte sich auch der Leipziger Arzt Daniel Gottlob Schreber, der Begründer der berühmt-berüchtigten Kleingärtnerbewegung. Für ihn war allein der Mann fähig, Kinder zu Disziplin und Gehorsam zu erziehen. Und um ihnen die dafür notwendige Haltung anzutrainieren, schlug Schreber vor, Kinder frühzeitig in verschiedene orthopädische Gurte zu zwängen. Wer nun glaubt, dies sei eine Geschichte aus längst vergangener Zeit, irrt. Noch 1978 empfahl der Arzt und Anthroposoph Wilhelm zur Linden, Kinder
im Bett anzugurten, daß ihnen »jede seitliche Bewegung, aber nicht das Aufrichten oder gar Stehen frei erlaubt« wird.
Zur Jahrhundertwende unterstützte ein lebloser Werkstoff die mühsame Erziehungsarbeit des Lehrers: das Eisen. Es ist »hart, zäh und wahr« und damit der »artgemäße Werkstoff« der Deutschen, erklärte Lehrlingsausbilder Karl Arnold 1928: »Das Eisen hat sich nun als das Material erwiesen, an dem sich das Wesen der männlichen Jugend zubest zu entfalten vermag.« Ganz gleich, welchen Beruf jemand wählte, zuerst mußte er exzessive und geisttötende Übungen am Schraubstock absolvieren.
Der Grundsatz »Eisen erzieht« hat »den Wirrnissen der Zeit standgehalten und damit eine bemerkenswerte Kontinuität von der Weimarer Republik bis in die Jahre des Wirtschaftswunders bewiesen«, meinte Palla. Übrigens: Auch in der DDR gehörte, wie ich aus eigener, schmerzlicher Erfahrung weiß, die stumpfsinnige Handhabung der Feile zu den unverzichtbaren Grundlagen von Schul- und Berufsausbildung.
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