- Politik
- ND-GESPRÄCH MIT SVEN FISCHER
Für Olympiasieg dekoriert, jetzt gefeuert
Der Oberhofer Biathlet zu seiner fristlosen Kündigung als Bundeswehr-Sportsoldat
Der 26jährige Biathlet Sven Fischer vom WSV Oberhof, Olympiasieger, Staffelweltmeister und Weltcupsieger des letzten Winters, wurde unmittelbar vor seinem Aufbruch ins Trainingslager der Nationalmannschaft mit einer Hiobsbotschaft konfrontiert. Die Bundeswehr kündigte ihn fristlos als Sportsoldat der Sportfördergruppe wegen angeblich falscher Angaben bei seiner Einstellung 1991 - nachdem sie schon vier Jahre lang den »IM-Fall Fischer« geprüft hatte. ND telefonierte mit Sven Fischer (Foto: ZB) im Trainingslager auf dem Dachstein-Gletscher in Österreich.
? Wie haben Sie von Ihrer Kündigung erfahren?
Am Montag morgen bin ich in die Bundeswehrkaserne nach Gotha beordert worden. Dort hat mir der für die Sportfördergruppe zuständige Kommandeur die Entscheidung mitgeteilt.
? Was wird Ihnen konkret vorgeworfen? Ein Vorgang, dessen Fakten überhaupt
nicht neu und schon seit vier Jahren der Bundeswehr bekannt sind. Ich habe als 18jähriger im Herbst 1989 beim Sicherheitsverantwortlichen des damaligen ASK Vorwärts Oberhof eine Unterschrift
unter eine Verpflichtungserklärung geleistet. Die wird mir heute als Unterschrift als Informeller Mitarbeiter der Stasi zur Last gelegt. Es war ein in der NVA routinemäßiger Vorgang, dem ich keinerlei Bedeutung beigemessen habe. Inzwischen geht aus meinen Akten auch hervor, daß ich als IM niemals tätig geworden bin. Sechs Wochen nach meiner Unterschrift wurde meine Stasi-Akte »wegen Perspektivlosigkeit« geschlossen. Ich habe keine Berichte geschrieben, habe niemandem irgendwelchen Schaden zugefügt. Ich bin kein Spitzel.
? Aber nun wird Ihnen »Einstellungsbetrug« vorgeworfen.
Das ist mir völlig unverständlich, zumal ich vor einigen Wochen durch die Bundeswehr aufgefordert worden bin, zu dieser ganzen Angelegenheit schriftlich Stellung zu nehmen. Das habe ich ausführlich getan. Damit, dachte ich, ist die Sache für mich erledigt.
? Sehen Sie Parallelen zum Bobfahrer Wolfgang Hoppe, der 1993 als Zeitsoldat aus der Bundeswehr entlassen worden war, nachdem er seine Stasi-Kontakte öffentlich bekannte?
Parallelen insofern, als offensichtlich
eindeutig die gleiche Schublade geöffnet wird und eine undifferenzierte, pauschale Verurteilung erfolgt.
? Werden Sie vor Gericht ziehen?
Im ersten Augenblick sah ich darin wenig Sinn. Wenn ich Ende November wieder zu Hause bin, werde ich weitersehen. Momentan versuche ich, tue ganze Sache
zu verdrängen, um mich auf den Sport und meine Olympiavorbereitung zu konzentrieren. Das ist mir wichtiger.
? Wie haben Ihre Mannschaftskameraden auf die Angelegenheit reagiert?
Ich habe hier im Trainingslager offen mit ihnen über die Dinge und meine Vergangenheit gesprochen. Sie haben mir erklärt, daß sie hinter mir stehen.
? Das tut auch Ihr Oberhofer Heimatverein. Wie aber wird es weitergehen?
Es macht schon Mut, wenn man hört, daß der WSV Oberhof mir Unterstützung zusagt. Wie es aber genau weitergehen wird, weiß ich zur Stunde noch nicht.
? Vor zwei Jahren wurden Sie durch Verteidigungsminister Rühe mit dem »Ehrenkreuz in Gold« ausgezeichnet. Erst für Olympiasieg gefeiert -nun gefeuert?
Das ist schon ein komisches Gefühl. Übrigens nahm die Auszeichnung damals der Minister nicht selbst vor Leider, sonst bekäme er jetzt eine spezielle Antwort zu hören. Aber ich werde mir noch was mit diesem Orden einfallen lassen.
? Sie kommen gerade vom Training zurück. Nur eine kurze Ausfahrt?
Eine ganz normale Tour. 35 Kilometer
? Wie sieht's überhaupt um Ihre Olympiavorbereitung aus?
Nach einer Angina vor drei Wochen bin ich wieder okay Gesundheit ist das Wichtigste, sonst platzen alle Saisonziele.
? Wie hochgesteckt sind Ihre Olympiapläne?
Wunschträume hat man immer Ich möchte bei Olympia das wiederholen, was ich schon mal geschafft habe.
Gespräch: Jürgen Holz
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