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  • Politik
  • mrnm Nazi-Tradition soll den

Aufschwung bringen

Das Lichtlfest und die Pflege brauner Heimattümelei Aus Schneeberg berichtet Marcel Braumann

  • Lesedauer: 4 Min.

Schneeberger Turmbläser heute (Foto links) und 1963 (Foto oben). ND stellte im Dezember 1963 die rhetorische Frage, »warum nicht Althergebrachtes mit unserem neuen sozialistischen Lebensgefühl« verbunden werden sollte. Esseidamals »efwäs Neues vef-“““ sucht« worden - beflügelt durch wachsenden Wohlstand, glaubt PDS-Mann Erich Mehlhorn. Doch ökonomisch ist längst der Rückwärtsgang eingelegt, der Geist marschiert in die Vergangenheit

Fotos: W Schmidt, ND-Archiv

Im beratenden Ausschuß der Schneeberger Kommunalvertretung wollte es Günter Eckardt, Diplom-Kulturwissenschaftler und PDS-Stadtrat, genau wissen: Zu welcher Tradition des Lichtlfestes bekennen wir uns eigentlich, zu der von 1963 oder der von 1938? Vor allem für die CDU-Vertreter war die Antwort klar Da die Kommunisten angeblich sogar das Weihnachtsfest abschaffen wollten, haben die Unionsfreunde mit der 63er Tradition »nichts am Hut«.

In der Regionalzeitung ist lediglich die Rede davon, daß die Ursprünge »dieses berühmtesten vorweihnachtlichen Spektakels« im Westerzgebirge »bis zum Ende der 30er Jahre« zurückreichten. Seinerzeit habe die weihnachtliche Stadtbeleuchtung mit den Lichterketten in den Straßen des Zentrums »anläßlich einer Weihnachtsschau« Premiere gehabt.

Am 1. Oktober 1938 marschierten deutsche Truppen ins Sudetengebiet ein. Die Bedenken des Schneeberger Bürgermeisters Lurtz, ob das Fest angesichts »der politischen Entwicklung« nicht in Frage gestellt sei, wies NSDAP-Kreisleiter Vogelsang am 25.10.1938 mit dem Hinweis zurück, »daß der Reichsstatthalter (Mutschmann) Wert darauf legt, daß in diesem Jahr wenigstens eine der drei geplanten Weihnachtsschauen durchgeführt wird«. Schließlich stehe »das Erzgebirge seit der Feierohmdausstellung«, die 1937 in Schwarzenberg stattfand, »und seit der Eingliederung des Sudetenlandes doppelt im Blickfeld«. Gauleiter Mutschmann war Schirmherr.

Gründlage der »braunen Tradition« (Eckardt) sei eine »exzessive Heimattümelei« gewesen, auf der heute die Kommerzialisierung des Lichtlfestes beruhe. Wer am vergangenen Woch'eriehde die Schneeberger Innenstadt betreten wollte, mußte sechs Mark rausrücken. Höhepunkt des Lichtlfestes war am Sonntag die große Bergparade vom Stadtteil Neustädtel über den Kirchplatz vor St. Wolfgang bis zum Rathaus. Die Bergparaden wurden 1934 wiederbelebt, die bergmännische Tradition war längst Vergangenheit. Deren letzte große Parade, weiß Eckardt, ging 1913 in Freiberg über die Bühne, seit der Jahrhundertwende war es mit dem Bergbau in Schneeberg im großen und ganzen vorbei.

Auch die Erzgebirgstracht der geschnitzten Figuren - Frauen mit silbernem Herz vor der Brust, die Männer mit

Mütze, blauer Schürze und einfältig-obrigkeitstreu dreinblickendem Gesicht wurde erst 1935 entwickelt. Eine solche einheitliche Erzgebirgstracht hat es nie gegeben. Und die erste Pyramide im öffentlichen Raum wurde im Rahmen einer »Pyramiden für alle«-Bewegung 1934 in Schwarzenberg errichtet.

Der Erzgebirgler sei völlig unpolitisch, teilte der Schneeberger Pfarrer Frank Meinel neulich der Öffentlichkeit mit. Doch die Konstruktion des scheinbar unpolitischen, biederen Hinterwäldlers ist eine Erfindung der Nazizeit. Meinel tat sich vor zwei Jahren mit der Bearbeitung des Nazi-Volkstheaterstücks »Spiel vom getreuen Horlemann« hervor. Das Horlemannspiel von Kurt Arnold Findeisen diente ab 1935 der theatralischen Umsetzung des NSDAP-»Parteitags der Treue« von 1934.

Und nur in der Schneeberger Kirche St. Wolfgang zelebrierten die politisch braunen »deutschen Christen« 1938 und 1939 eine eigene Horlemann-Ehrung. Meineis Vorgänger Leyn schrieb am 9 Mai 1939 an den stellvertretenden Bürgermeister Hager, daß er »gern bereit« sei, »die Horlemanngedächtsnisfeiern im Anschluß an unser Heimatspiel auch in diesem Jahre zu halten... Heil Hitler! Leyn, Pfarrer « Hager hatte den braunen

Pfarrer zuvor gebeten, »den von Ihnen dazu gedichteten liturgischen Gottesdienst zu übernehmen«.

Daß das Horlemannspiel ausgerechnet anläßlich des Bergstreittages neu aufgeführt wurde, der sich 1996 zum 500. Mal jährte und an einen Streik der Bergleute für mehr Lohn erinnert, paßt zur braunen Kultur der Umdeutung alter Bergmannstradition. Mit der »Deutschen Krippenausstellung« von 1934 in Aue wurde die orientalische Krippenform vollständig aus der Öffentlichkeit eliminiert. Maria hatte fortan ein blauäugiges Mädel zu sein, und die hinzugefügten »Bergleute laufen wie Hitler vorbei«, so Eckardt anhand von Beispielen.

Mitverantworlich für die Nazifizierung der christlichen Symbolik. Friedrich Emil Krauß, NSDAP-Mitglied, Obersturmführer des SA-Sturmes 6/105, Kreiskulturwart und Vorsitzender des 1936 gegründeten »Heimatwerkes Sachsen«. Er verfaßte zum Thema Krippenschnitzerei die Kampfschrift »Wider den Orient«. Das Bild von Krauß, gewürdigt als »Industrieller und Förderer der erzgebirgischen Volkskunst«, ziert das letzte Blatt des 97er Kalenders der Kreissparkasse.

PDS-Kreistagsfraktionschef Erich Mehlhorn ist entsetzt, »einen Faschisten und Kriegsverbrecher angucken« zu müs-

sen. Die Krauß-Werke wurden 1937 zum NS-Musterbetrieb gekürt und nahmen ab 1939 als Zulieferer der Wehrmacht einen starken Aufschwung, zu dem im Krieg auch 200 ausländische Zwangsarbeiter beitragen mußten.

In diese Traditionspflege fügt sich auch das Schloßmuseum Schwarzenberg ein mit einer Ausstellung zu 60 Jahren »Feierohmd-Ausstellung«. Der Fremdenverkehrsverband hat das »silberne Herz« der Nazis in seinen Briefkopf aufgenommen. Daß vor diesem Hintergrund der Skandal um die von Schneeberger Bundeswehr-Soldaten fabrizierten Nazi-Videos ausgesessen werden soll, während Bürgermeister Frieder Stimpel (CDU) den Arbeitsplatzschaffer Bundeswehr rühmt, ist also historisch nichts Neues.

Das 1963 aus der Taufe gehobene »Fest der Freude und des Lichtes« sollte sich bewußt auf die in der Vorweihnachtszeit gepflegten Sitten und Gebräuche beziehen, sagt der damalige Schneeberger Bürgermeister Lothar Wendler

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