Grand Magal - das Pilgerfest in Touba

Jedes Jahr strömen Hunderttausende von Muslimen aus Senegal und Gambia in das Mekka Westafrikas. Sie feiern die Rückkehr des Gründers ihrer Bruderschaft, Cheikh Amadou Bamba, aus dem Exil - vor fast 100 Jahren

  • Wendelin Hübner
  • Lesedauer: 7 Min.
Es ist kühl im Haus von Marabout Cheikh Mohammed. Der Ventilator rattert vor sich hin, bläst Fliegen aus dem Zimmer. Auf dem Fernsehschirm flimmert die Übertragung einer Osterprozession. Ein Prediger knistert über den Äther. Gleichzeitig erhebt draußen der Muezzin seine Stimme, ruft über unzählige Lautsprecher zum Mittagsgebet: »Allahu Akbar« - Allah ist groß.
Die Menschen schütteln den Mittagschlaf ab, klopfen sich Dämmrigkeit aus den Tüchern und rollen ihre Gebetsteppiche aus. Nur der kleine Modou schläft weiter, den Mund leicht zu einem »Oh« geöffnet - Staunen bis in den Traum hinein.
Modou ist zum ersten Mal dabei, beim Grand Magal, dem großen Pilgerfest. Gemeinsam mit seinem Onkel Pape hat sich der Achtjährige am Morgen zuvor auf den Weg gemacht, sich in eines der zahllosen Vehikel gequetscht, froh über den Sitzplatz auf seines Onkels Schoß.

Alles Fahrbare in Bewegung
Einer gewaltigen Sternfahrt gleich, bahnen sich lange Kolonnen von Autos, überbesetzte Busse und Taxen, Lkw und Pick-ups mit dutzenden Menschen auf den Ladeflächen ihren Weg über die verkraterten Straßen Senegals. Alle kennen nur ein Ziel: Touba, den spirituellen Fixpunkt im Westen Afrikas, das geistige Zentrum der Mouriden. Um den zehnten Tag des elften Monats des islamischen Kalenders, etwa in der Zeit, da die christliche Welt Ostern feiert, ist für viele Menschen Senegals und seines kleinen Nachbarn Gambia die Zeit des Grand Magal, einer Massenpilgerfahrt, die hunderttausende Muslime mobilisiert.
Eine Eigenheit des nord- und westafrikanischen Islam besteht in der Gruppierung der Gläubigen in Bruderschaften, an deren Spitze die so genannten Marabouts stehen, geistige Führer und Schriftgelehrte des Korans. Zauberkräfte und eine direkte Verbindung zu Allah werden ihnen nachgesagt, und so wirken sie als Mittelsmänner zwischen Himmel und Erde. Heilige, mit einer nicht unerheblichen weltlichen Macht. Keine Präsidentenwahl kann ohne Rückhalt unter den Marabouts gewonnen werden.
Seine Ursprünge hat das Maraboutwesen in Marokko. Dort entstand auch die älteste Bruderschaft, die Tidjanyia. Sie hat in Senegambia zwar noch eine große Anhängerschaft, doch die Brüder der Mouridiya haben inzwischen den größeren Einfluss auf Gesellschaft und Staat. Ihr Gründer, Cheikh Amadou Bamba, stellte für die einstige Kolonialmacht Frankreich eine so große politische Bedrohung dar, dass er Ende des 19. Jahrhunderts ins Exil verbannt wurde. Doch 1907 kehrte Bamba nach Afrika zurück und ließ sich in Touba nieder.
Zahlreiche Mythen ranken sich um ihn. »Als Bamba auf dem Schiff, das ihn zurück nach Senegal bringen sollte, seinen Gebetsteppich auszurollen begann, wurde ihm dies von den Franzosen verboten«, erzählt Cheikh Mohammed. »Also nahm Bamba seinen Teppich, trat hinaus auf das Meer und betete zu Gott.« So ist er als Verkörperung afrikanischen Selbstbewusstseins zur Ikone geworden, sein Konterfei ist auf Hauswände und Bustüren gepinselt, man findet sein Porträt in Schlafzimmern und Cafés. Und Touba wurde zur Kultstätte.

Die Feier der Rückkehr Bambas aus dem Exil bietet den Anlass für die jährliche Pilgerfahrt. Von dieser heißt es, sie könne die Fahrt nach Mekka ersetzen, die zwar jeder Muslim einmal in seinem Leben machen sollte, die allerdings für die wenigsten Afrikaner finanzierbar ist. Selbst die Teilnahme am Grand Magal können sich viele nicht in jedem Jahr leisten, und so haben in den meisten Familien nur die Männer das Privileg, nach Touba zu fahren. Modous große Schwester Aminata musste auch in diesem Jahr zu Hause bleiben.
Touba, ein Ort mit immerhin 600000 Einwohnern, wird während des Magal zur Millionenstadt. Die Infrastruktur ist dem Ansturm kaum gewachsen. Ein nationaler Wasserkonzern sponsert in großen Tanks zusätzliche Reserven, um die vom Zusammenbruch bedrohte Versorgung zu sichern. Die Ränder der staubigen Straßen sind gesäumt mit stinkendem Abfall. Katzen und Ziegen durchwühlen die Haufen. Und zwischen den Häusern und an den Stadträndern entstehen wahre Massenzeltlager, um alle aufzunehmen, die nicht mehr in die Häuser ihrer Marabouts aufgenommen werden konnten. Hotels oder Restaurants gibt es nicht, denn als Stätten der Unruhe würden sie den Ort entweihen.

Wenn der Marabout seinen Segen spricht
Von Ruhe ist allerdings nichts zu spüren, wenn man sich durch das Getümmel auf den Straßen bewegt. Wie eine Klangwolke, verdichtet in ewiger Wiederholung, liegen die Rezitationen der Khassaïde, der Psalmen Bambas, über dem Geschehen. Es ist ein einziges Geschiebe und Gedränge, ein Chaos von Körpern und Stimmen.
Doch dann entsteht Raum aus dem Nichts, die Menschen scharen sich im Halbkreis um ein bizarre Erscheinung. Die Handflächen wie zum Hostienempfang ausgestreckt, steht die Gruppe um ein buckliges Männchen. Schwer auf einen Stock gestützt, lumpenbehängt und mit ins Unendliche verzwirbelten Filzlocken über dreckkrustiger Stirn, spricht der Marabout seinen Segen. Und spuckt in die Runde. Die Menge fängt den Speichel auf, und - wie um den Segensspruch einzulösen - fahren die Hände über die Gesichter. Die Waschung ist vollzogen, man treibt auseinander, der Raum wird abermals von Körpern getilgt.
Die Große Moschee ist das Zentrum der Stadt und von überwältigender Größe: 10000 Menschen finden darin Platz, so viele wie in keinem anderen Gebetshaus südlich der Sahara. Stolz posieren Modou und sein Onkel zum Foto vor dem pittoresken Bau.
Im Durcheinander barfüßiger Pilger auf dem Vorplatz tummeln sich die Baye Fall, bewehrt mit respekteinflößenden Holzknüppeln. Diese Untergruppe der Mouriden, jüngere Männer mit beeindruckenden Rasta-Frisuren, fungiert als privater Sicherheitsdienst der Marabouts und sorgt dafür, dass rund um die Moschee Ordnung herrscht. Für ihre »Bezahlung« haben die Pilger aufzukommen. So haben Geldwechsler an den Eingängen zur Moschee Münzpyramiden unterschiedlicher Größe aufgebaut, je nach Dicke der Geldbündel, die bei ihnen einzutauschen sind. Die Münzen wiederum landen in den Schüsseln der Baye Fall, die ihrerseits als Dank für die Spende kleine Bonbons verteilen.
Im Innern der Moschee befindet sich ein grüner Sarkophag, kunstvoll golden verziert. Es ist die Ruhestätte Amadou Bambas, das Ziel der Pilgerei. In einer schier endlosen Schlange warten die Pilger darauf, in die Moschee zu gelangen, um endlich das Grabmal zu passieren.
»Bamba sieht alle, aber niemand kann ihn sehen«, sagt Pape mit ehrfürchtiger Miene. Modou ist aufgeregt, klammert sich an die Hand des Onkels, den Mund nun schon zu einem viel größeren »Oh« geöffnet. »Dieu est grand«, murmelt er leise und wie zu sich selbst.
Nahe der großen gibt es noch eine kleinere Moschee. Auch hier stehen Leute an, darauf wartend, ihre Behälter gefüllt zu bekommen. »Das Wasser Toubas ist anders als sonst wo. Es ist heiliges Wasser«, erklärt mit eifrigem Nicken ein zahnloser Alter aus der Schlange. Am Straßenrand werden leere Kanister und Plastikflaschen verkauft.

Der Auflauf verspricht ein gutes Geschäft
Wo viele Menschen zusammenkommen, gibt es eben auch Handel. Und der Magal ist ein gutes Geschäft. Rund um die Moscheen erstreckt sich ein gigantischer Markt, einer der größten in Westafrika. An den Ständen geht es weltlich zu: Um Fußballtrikots wird gefeilscht, Osama bin Laden-T-Shirts werden anprobiert. Und Modou blickt voller Entzücken immer wieder auf seine kleine neue Armbanduhr.
Als fremder Besucher fühlt man sich leicht eingeschüchtert durch Hektik und Handgreiflichkeiten, wenn etwa ein Taschendieb ertappt wurde und die Ordner ihre Knüppel schwingen. Auch die fast unerträgliche Hitze macht zu schaffen. Doch achtet man gewisse Regeln, trägt angemessene Kleidung, verzichtet auf Alkohol und Zigaretten, wird man gerne in ein kühles Zelt gebeten und von den Feiernden aufgenommen.
Im Haus des Marabouts werden sich am Abend viele Gäste ihr Lager auf der Dachterrasse richten. Und die Ziege verdauen, die Cheikh Mohammed großzügig seinen Anhängern hat schlachten lassen. Mancher wird dabei vielleicht den Neuigkeiten lauschen, die Verwandte und Freunde zu erzählen haben. »Ça va la famille?« fragt Pape zwischen zwei Schlucken Tee einen Cousin aus Dakar und beginnt eine gestenreiche Unterhaltung. Für viele ist der Magal eine Gelegenheit, weit entfernt lebende Familienangehörige und Freunde zu treffen. Und es ist auch eine Zeit, in der die Rivalität zwischen Senegalesen und Gambianern ruht. Der Glaube schweißt zusammen, tage- und nächtelang wird gemeinsam gebetet, gegessen und gesungen.
Gesänge werden auf den Straßen Senegals auch zu hören sein, wenn tausende Autos die Massen in ihre Heimat zurückbringen. Gesänge, die Modou in den Schlaf wiegen.

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