Was verbindet das 56-stöckige Montparnasse-Hochhaus in Paris und den außer Dienst gestellten Flugzeugträger »Clemenceau«? Sie haben ein Problem - mit Asbest.
Der Flugzeugträger sollte längst auf dem Weg nach Indien sein, um dort verschrottet zu werden. Doch per Gerichtsurteil wurde die Abfahrt bis auf weiteres verboten. Erreicht wurde das durch Ban Asbestos France, französische Filiale der internationalen Organisation für das Verbot von Asbest, und die französische Asbestopferorganisation »Andeva«. Sie argumentieren, dass das Schiff zwar in Toulon von 90 Prozent des Asbests befreit wurde - doch verblieben sind 20 Tonnen, die noch in Ecken und Winkeln stecken, aus denen man sie kaum wird hervorholen können, ohne das Schiff zu zerlegen. Erfolgte das in Indien, wäre das Leben der Arbeiter vor Ort gefährdet, die oft ohne elementarsten Gesundheitsschutz arbeiten müssen. Dabei berufen sich die Organisationen auf das EU-Verbot des Exports giftiger oder gesundheitsgefährdender Stoffe.
Asbestalarm gab es dieser Tage auch im Pariser Montparnasse-Hochhaus. Wie erst jetzt bekannt wurde, hat man schon 2002 in den Klimatechnikräumen der Stockwerke 15, 42, 57 und 58 eine Asbestbelastung der höchsten Gefahrenstufe gemessen. Dem Gesetz nach wären die Hauseigentümer verpflichtet, unverzüglich für Abhilfe zu sorgen, doch bisher ist nichts geschehen. Eine akute Gefährdung der 5000 Menschen, die in dem Bürohochhaus arbeiten, gibt es nicht, heißt es. Wohl aber für die Arbeiter, die auf den Klimatechniketagen Wartungen oder Reparaturen ausführen. Um den Asbest sicher zu entfernen, würde man drei Jahre brauchen, würde das Hochhaus leergeräumt - oder zehn, wenn die Mieter bleiben. Wer die noch nicht absehbaren Kosten tragen soll, wird sicher vor Gericht entschieden.
Weil Asbest in den 60er und 70er Jahren sehr viel im Bauwesen verwendet wurde und man ihn in Frankreich erst 1997 wegen des im Prinzip seit den 50ern und wissenschaftlich seit 1977 erwiesenen Krebsrisikos verboten hat, lauert die Gefahr in tausenden Häusern. Doch bis heute gibt es weder eine landesweite Kontrollstruktur noch speziell ausgebildete Inspektoren. Ob ihre Häuser Asbest enthalten, sollen alle Hausbesitzer in Frankreich bis Ende 2005 auf eigene Kosten feststellen lassen, bestimmt ein Gesetz. Doch je länger man mit einer Asbestentfernung wartet, umso größer wird die Gesundheitsgefahr.
Auf jährlich 3000 schätzt man heute schon die Zahl französischer Asbestopfer, Hochrechnungen zufolge dürfte sich ihre Zahl bis 2025 auf 100000 summieren. »Andeva« bemüht sich seit Jahren um einen Musterprozess, in dem die Schuld öffentlicher und privater Arbeitgeber und Bauherren festgestellt und ein Rahmen für Entschädigungen gezogen werden soll. Zwar gibt es seit 2001 einen Fonds für Asbestopfer, der durch die Industrie und den Staat alimentiert wird, doch die bisher geleisteten Zahlungen an 6240 Opfer oder Angehörige blieben weit hinter deren Erwartungen zurück. Einen Durchbruch hat jetzt ein Protestmarsch von asbestgeschädigten Werftarbeitern und Angehörigen bereits verstorbener Asbestopfer in Dunkerque gebracht. Danach erklärte sich das Justizministerium bereit, alle über das Land verteilten Einzelklagen zu einem zentralen Verfahren in Paris zusammenzufassen, um das Ausmaß der Asbestschädigungen und die Verantwortung dafür feststellen zu lassen, damit es zu angemessener Entschädigung kommen kann.
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