- Wirtschaft und Umwelt
- Europäische Union
Rüstungskonzerne wollen weniger Bürokratie und mehr Aufrüstung
Europas Verteidigungsindustrie will schnell wachsen und möchte von einem neuen EU-Regelwerk profitieren
Die EU-Kommission will das Regelwerk für die Beschaffung von Rüstungsgütern vereinfachen. Dazu sollen etwa Wettbewerbs- und Finanzmarktvorschriften sowie die Chemikalienverordnung geschleift werden. Ein Paket von Vorschlägen stellten die Kommissare für Vereinfachung, Valdis Dombrovskis, und für Verteidigung, Andrius Kubilius, vergangene Woche vor. »All diese Änderungen haben das Ziel, dass Europas Rüstungsindustrie schnell und in großen Stückzahlen liefern kann«, heißt es in einer Mitteilung. Auch wenn das Europaparlament und die Mitgliedstaaten noch zustimmen müssen, herrscht in den Firmen nun Goldgräberstimmung. Natürlich auch dank des Fünf-Prozent-Ziels der Nato-Staaten.
Mehr denn je komme es auf Deutschland an, dabei eine Führungsrolle zu übernehmen, mahnt die unternehmensnahe »Frankfurter Allgemeine Zeitung« in einem Leitartikel. An Geld mangele es Berlin, anders als Paris, bekanntlich nicht. Doch trotz »Zeitenwende«, verbreiteter Kriegsrhetorik und Zauberworten in Berliner, Pariser oder Warschauer Regierungskreisen wie »Standardisierung, Konsolidierung und langfristige Beschaffungszusagen« ist eine strategische Neuaufstellung der EU-Rüstungskonzerne bislang nicht wirklich zu erkennen.
Diese bleiben vorwiegend national ausgerichtet – der Exportanteil beträgt ein Fünftel, wovon ein Großteil an die Ukraine geht – und gelten daher auf dem Weltmarkt als Nischenanbieter. In der Rangliste der größten Unternehmen der Branche führt Lockheed Martin, dessen Einnahmen aus Rüstung bei über 60 Milliarden Dollar (rund 53 Milliarden Euro) liegen, gefolgt von weiteren US-Konzernen: RTX, Northrop Grumman, Boeing und General Dynamics. Erst auf Rang sechs folgt die britische BAE Systems, die aber einen Großteil ihres 30-Milliarden-Umsatzes in den Vereinigten Staaten macht, dem Eldorado der westlichen Wehrwirtschaft. Erst unter ferner liefen führt das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri deutsche Platzhirsche auf, wie Rheinmetall in Düsseldorf (Platz 26.; 5,5 Milliarden Dollar Umsatz) und den U-Boot-Hersteller Thyssen-Krupp in Kiel (Platz 66.; 2 Milliarden).
Die Kleinteiligkeit der europäischen Rüstungswirtschaft begrenze deren internationale Wettbewerbsfähigkeit, ist aus dem Lobbyverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Berlin zu vernehmen. Geringe Stückzahlen haben vergleichsweise hohe Stückkosten pro Panzer, Softwareanwendung oder Fregatte zur Folge. Da zudem langfristige Finanzierungszusagen der Regierungen bislang ausbleiben, stehen die Konzerne in der EU bei großen Neuinvestitionen meist noch auf der Bremse.
Mit Papierkügelchen werden europäische Kriegsprodukte aber auch nicht ausgerüstet. Französische Konzerne wie Dassault Aviation und Thales verkaufen Kampfjets, Raketen und Satelliten in Dutzende Länder außerhalb Europas. Panzer, Transportfahrzeuge und seit Kurzem auch Drohnen aus Deutschland sind international durchaus Verkaufsschlager. Was sich ebenfalls in den Aktienkursen niederschlägt. So ist der erst 2021 gegründete Münchner Drohnenhersteller Helsing seit der jüngsten Finanzierungsrunde im Juni nun mehr als zehn Milliarden Euro an der Börse in Frankfurt am Main wert.
Doch auch das Beschaffungswesen in der EU ist national zersplittert. Und Regierungen in Ländern wie Dänemark oder Polen fürchten die technische und wirtschaftliche Dominanz der großen Nachbarn Frankreich, Deutschland und Großbritannien, weshalb sie lieber auf Eigenmarken und Einkäufe in Südkorea oder den USA setzen. So kauft Polen seit langem Panzer, Kampfjets und andere militärische Güter am liebsten von US-Konzernen.
Abhängigkeiten gibt es ebenfalls stofflicher Art. So behindern seit der Corona-Pandemie Lieferkettenprobleme, wie sie aus anderen Teilen der Wirtschaft bekannt sind, die Aufrüstung von Heer, Luftwaffe und Marine. Auch Rüstung braucht seltene Erden und rare Mineralstoffe aus China oder Afrika. Abhängigkeiten schaffen zudem Software-Updates und Cloud-Lösungen, die in der EU laufend für Kampfjets und Panzer aus US-Produktion benötigt werden.
Mit dem Vereinfachungsprogramm, das bis Ende des Jahres beschlossen sein soll, müssten Rüstungsprojekte nicht mehr jahrelange Genehmigungsverfahren durchlaufen, sondern würden innerhalb 60 Tage von der EU-Verteidigungsagentur EDA auf den Kriegspfad gebracht. An Geld wird es dann nicht mangeln: Schon beschlossen ist das Rüstungskreditprogramm Safe für gemeinsame Beschaffungen der EU-Staaten über 150 Milliarden Euro, zusätzliche Mittel werden die Europäische Investitionsbank und die im Aufbau befindliche Rüstungsbank DSR bereitstellen. Fazit: Mehr Geld und weniger Bürokratie sollen die europäische Rüstungsindustrie ertüchtigen.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.