...und schaut den Kameraden nicht ins Gesicht!

Das Wrack der »Kursk« ist aufgetaucht - und mit ihm viele neue Fragen zum Nordmeer-»Restrisiko«

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Es wird noch bis zum Wochenende dauern, bis der geschundene Rumpf des Atom-U-Bootes »Kursk« vollständig trockengelegt ist. Das Marinedock von Rossljakowo ist weiträumig abgesperrt, die Öffentlichkeit bekommt nur das zu sehen, was Moskau verantworten kann.
Es ist schon empfindlich kalt am Nordmeer. Die Wassertemperatur misst sieben Grad, die der Luft erreicht knapp die Hälfte. Millimeterweise tauchen Turm und Rumpfoberseite des Giganten auf. Man kann in der Außenhülle Beulen, abgerissenes Gummi und zerstörte Scheiben erkennen. Das russische Wappen dagegen wirkte wie frisch aufgemalt. Das war am Dienstag. Am Rande des Schwimmdocks warteten der russische Generalstaatsanwalt Wladimir Ustinow und sein 40-köpfiges Team, um - nach einer Gedenkminute für die 118 an Bord der »Kursk« umgekommenen Seeleute - zum Wrack überzusetzen. Als erster jedoch betrat ein junger Marineleutnant das Deck. Gleb Ljatschin heißt er und war vermutlich nur noch durch zwei Stahlhüllen vom Leichnahm seines Vaters getrennt. Kapitän zur See Gennadi Ljatschin war der letzte Kommandant der »Kursk« und ganz offenkundig ein Seemann, wie er im Buche steht. Wie sein Vorgänger Viktor Roschkow hielt er engsten Kontakt zur Patenstadt, die bevor das modernste aller russischen U-Boote in See stach, Lastwagen mit Proviant schickten, damit die Besatzung was zwischen die Zähne bekam. Ljatschin senior wurde mit seiner Mannschaft auserwählt, um nach Jahren der durch das Elend der russischen Marine erzwungenen Mittelmeer-Abstinenz zumindest wieder symbolisch präsent zu sein. Die Mission verlangte Fingerspitzengefühl, die NATO führte gerade Krieg gegen Jugoslawien. Nach der Heimkehr am 19. Oktober 1999 wurde der Kapitän zum damaligen Ministerpräsidenten Wladimir Putin befohlen. Der entdeckte fortan sein Interesse an Russlands Untersee-Waffe. Die Fürsorge reichte allerdings nicht, um dem Desaster des »Kursk«-Untergangs im August 2000 mit Anstand zu begegnen. Noch immer ist die Untergangsursache unklar. Derzeit findet die These, der Raketenkreuzer »Peter der Große« habe die »Kursk« irrtümlich versenkt, wieder Aufmerksamkeit. Doch auch die Thesen »Weltkriegsmine«, Zusammenstoß mit einem US-U-Boot oder die Explosion eines »Tolstjak«-Torpedos in einem Rohr der »Kursk« werden debattiert. Marine, Staatsanwaltschaft und Geheimdienst haben ein Untersuchungsteam gebildet, das mit Schutzanzügen bekleidet, einsteigen soll. Zunächst jedoch bohrt man in Höhe der Reaktor-Sektion Löcher in den Rumpf, um vor erhöhter Radioaktivität sicher zu sein. Dann werden alle Geheimunterlagen und -geräte gesichert. Man wird versuchen, die 24 startbereiten SSN-19-Marschflugkörper möglichst risikoarm aus den Silos ziehen. Trainiert wurden die Trupps auf dem »Kursk«-Schwesterschiff »Orjol«. Neben der Ursachenerforschung gilt es, Leichen zu bergen. Man riet den damit Beauftragten so wie den norwegischen Tauchern, die die »Kursk« am Unglücksort zu öffnen hatten: »Seid vorsichtig und schaut den Kameraden nicht ins Gesicht.« Es geht das Gerücht, den Froschmännern, die Leichen aus dem 1986 im Schwarzen Meer gesunkenen Zerstörer »Admiral Nachimow« holen mussten, sei hinterher nicht einmal mehr von guten Psychiatern zu helfen gewesen.

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