Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • ? SS-Wirtschaft - Eine Dokumentation

Der Minden-Bericht

  • Klaus Drobisch
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine vor über 30 Jahren erschienene Geschichte der SS vermutete, daß SS-Obergruppenführer Oswald Pohl, Chef des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes (WVHA), meinte, »sein Hauptamt (würde sich) zu einem der stärksten Machtfaktoren des deutschen Wirtschaftslebens erheben« können.

Können oder wollen? So fragt man sich anhand der ersten Dokumentenedition über die zum WVHA gehörende Deutsche Wirtschaftsbetriebe GmbH (DWB). Kernstück des Bandes bildet der knapp 250seitige Bericht dreier ihrer Funktionäre. Sie verfaßten ihn Ende 1946 im britischen Internierungslager Minden. Nach einem Überblick über die SS-Hauptämter und die Amtsgruppen des WVHA ging dieser ausführlicher auf dessen Amtsgruppe W(irtschaft) und die DWB ein: Im Juli

1940 gegründet - Pohl sogleich als alleiniger Gesellschafter -, faßte sie zunächst die SS-Betriebe in den KZ zusammen. Als erste gehörten dazu: die Ziegelwerke von Buchenwald, Neuengamme und Sachsenhausen, die Steinbrüche von Flossenbürg und Mauthausen und die meist holzverarbeitenden KZ-Werkstätten. Schließlich verfügte die DWB über rund 60 Unternehmen, darunter in den besetzten Ostgebieten. Mehr oder weniger ausführlich werden diese im Bericht genannt. Nur am Rande indes erwähnten die Verfasser die skrupellose Ausbeutung der Arbeitskraft der Häftlinge. Verständlich, denn die inhaftierten, ihren Prozeß fürchtenden SS-Funktionäre versuchten, sich von ihrer Organisation, von Pohl sowie von den anderen SS-Hauptämtern abzusetzen. Besonders distanzierten sie sich von den KZ, deren Verhältnisse sie nicht zu kennen vorgaben. Allein schon die Biographien der Hauptakteure des

WVHA, der Edition als Anhang beigegeben, widerlegen derartige Behauptungen.

Aus weiteren zeitgenössischen Dokumenten geht hervor, woher die Kredite der DWB stammten, so u. a. Millionenbeträge von der Dresdner Bank AG. Deutlich wird, wie günstig der SS-Wirtschaftskonzern durch billige Häftlingsarbeit und ohne bei ihm zu Buche schlagende Bestand-, Transport- und Verwaltungskosten produzierte und wie sich eine Gliederung der NSDAP in Struktur und mit ihren Wirtschaftsunternehmen als öffentliche Betriebe mit dem Staatsapparat verzahnte. Nachdenken ließe sich auch darüber, wie und in welcher Höhe die Gewinne der DWB nach Abführen in die Reichskasse an die SS zurückflössen.

Weitere aussagekräftige Schriftstücke über die chaotischen Anfänge mit unfähigen SS-Führern, Fehlplanungen und Millionenverlusten, wie sie für das Klinkerwerk Sachsenhausen und die dortige spätere Granatenfertigung vorliegen, und Zeugnisse von und über dabei und für andere DWB-Unternehmen geschundene Häftlinge zog der Herausgeber nicht heran. Sie sind allerdings im Bundesarchiv, wo er beschäftigt ist, und an anderen Stellen greifbar

Naasner umreißt die Genesis der SS-Verwaltung und -Wirtschaft, schildert das Entstehen des Mindener Berichts und verweist er auf dessen unexakte Fakten und apologetischen Züge. Er bewertet die Bestrebungen der SS, zur Führungsmacht in der deutschen Kriegswirtschaft aufzusteigen, als wirklichkeitsfremd. Nicht allein ihr Unvermögen behinderte sie, sondern militärische Instanzen, Rüstungsministerium und vor allem Rüstungskonzerne. Mit ihrem Gewaltmonopol stellte die SS hingegen einen Machtfaktor dar Sie konnte Großbetrieben KZ-Häftlinge zur Ausbeutung bis zu deren Erschöpfung und Tod liefern: Ende 1944 etwa eine halbe Million. Hierzu erfährt man Konkretes aus den von Eichholtz 1985 und 1995 vorgelegten Bänden 2 und 3 über die deutschen Kriegswirtschaft 1941 bis 1945 sowie aus Naasners 1994 erschienener Darstellung »Neue Machtzentren in der deutschen Kriegswirtschaft 1942-1945«. Diese Publikationen seien als Lektüre parallel zur Dokumentation empfohlen.

Die Geschichte eines jüdischen Kinderheims in der Berliner Auguststra-ße rekonstruiert Regina Scheer: »Ahawah. Das vergessene Haus« (AtV, 330 S., 17,90 DM).

Frauen, die in der Nazizeit gemeinsam eine Schulklasse besuchten, erinnern sich an ihre unterschiedlichen Lebenswege nach 1945. Aufgeschrieben hat ihre Geschichten Marie Lammers: »Lebenswege in Ost- und Westdeutschland« (Fischer Taschenbuch, 331 S., 16,90 DM).

Für die Beck'sche Reihe »Wissen« schrieb Dieter Hein über »Die Revolution von 1848/49« (143 S., 14,80 DM).

Eine Auswahl von Ralph Giordanos Reden und Schriften sind unter dem Titel »Wir sind die Stärkeren« (337 S., 44 DM) im Rasch und Röhring Verlag erschienen. Der Verlag gab zum heutigen 75. Geburtstag des Publizisten auch eine Neuausgabe seines Werkes »Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein« (374 S., 44 DM) heraus.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!