- Politik
- ? SS-Wirtschaft - Eine Dokumentation
Der Minden-Bericht
Eine vor über 30 Jahren erschienene Geschichte der SS vermutete, daß SS-Obergruppenführer Oswald Pohl, Chef des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes (WVHA), meinte, »sein Hauptamt (würde sich) zu einem der stärksten Machtfaktoren des deutschen Wirtschaftslebens erheben« können.
Können oder wollen? So fragt man sich anhand der ersten Dokumentenedition über die zum WVHA gehörende Deutsche Wirtschaftsbetriebe GmbH (DWB). Kernstück des Bandes bildet der knapp 250seitige Bericht dreier ihrer Funktionäre. Sie verfaßten ihn Ende 1946 im britischen Internierungslager Minden. Nach einem Überblick über die SS-Hauptämter und die Amtsgruppen des WVHA ging dieser ausführlicher auf dessen Amtsgruppe W(irtschaft) und die DWB ein: Im Juli
1940 gegründet - Pohl sogleich als alleiniger Gesellschafter -, faßte sie zunächst die SS-Betriebe in den KZ zusammen. Als erste gehörten dazu: die Ziegelwerke von Buchenwald, Neuengamme und Sachsenhausen, die Steinbrüche von Flossenbürg und Mauthausen und die meist holzverarbeitenden KZ-Werkstätten. Schließlich verfügte die DWB über rund 60 Unternehmen, darunter in den besetzten Ostgebieten. Mehr oder weniger ausführlich werden diese im Bericht genannt. Nur am Rande indes erwähnten die Verfasser die skrupellose Ausbeutung der Arbeitskraft der Häftlinge. Verständlich, denn die inhaftierten, ihren Prozeß fürchtenden SS-Funktionäre versuchten, sich von ihrer Organisation, von Pohl sowie von den anderen SS-Hauptämtern abzusetzen. Besonders distanzierten sie sich von den KZ, deren Verhältnisse sie nicht zu kennen vorgaben. Allein schon die Biographien der Hauptakteure des
WVHA, der Edition als Anhang beigegeben, widerlegen derartige Behauptungen.
Aus weiteren zeitgenössischen Dokumenten geht hervor, woher die Kredite der DWB stammten, so u. a. Millionenbeträge von der Dresdner Bank AG. Deutlich wird, wie günstig der SS-Wirtschaftskonzern durch billige Häftlingsarbeit und ohne bei ihm zu Buche schlagende Bestand-, Transport- und Verwaltungskosten produzierte und wie sich eine Gliederung der NSDAP in Struktur und mit ihren Wirtschaftsunternehmen als öffentliche Betriebe mit dem Staatsapparat verzahnte. Nachdenken ließe sich auch darüber, wie und in welcher Höhe die Gewinne der DWB nach Abführen in die Reichskasse an die SS zurückflössen.
Weitere aussagekräftige Schriftstücke über die chaotischen Anfänge mit unfähigen SS-Führern, Fehlplanungen und Millionenverlusten, wie sie für das Klinkerwerk Sachsenhausen und die dortige spätere Granatenfertigung vorliegen, und Zeugnisse von und über dabei und für andere DWB-Unternehmen geschundene Häftlinge zog der Herausgeber nicht heran. Sie sind allerdings im Bundesarchiv, wo er beschäftigt ist, und an anderen Stellen greifbar
Naasner umreißt die Genesis der SS-Verwaltung und -Wirtschaft, schildert das Entstehen des Mindener Berichts und verweist er auf dessen unexakte Fakten und apologetischen Züge. Er bewertet die Bestrebungen der SS, zur Führungsmacht in der deutschen Kriegswirtschaft aufzusteigen, als wirklichkeitsfremd. Nicht allein ihr Unvermögen behinderte sie, sondern militärische Instanzen, Rüstungsministerium und vor allem Rüstungskonzerne. Mit ihrem Gewaltmonopol stellte die SS hingegen einen Machtfaktor dar Sie konnte Großbetrieben KZ-Häftlinge zur Ausbeutung bis zu deren Erschöpfung und Tod liefern: Ende 1944 etwa eine halbe Million. Hierzu erfährt man Konkretes aus den von Eichholtz 1985 und 1995 vorgelegten Bänden 2 und 3 über die deutschen Kriegswirtschaft 1941 bis 1945 sowie aus Naasners 1994 erschienener Darstellung »Neue Machtzentren in der deutschen Kriegswirtschaft 1942-1945«. Diese Publikationen seien als Lektüre parallel zur Dokumentation empfohlen.
Die Geschichte eines jüdischen Kinderheims in der Berliner Auguststra-ße rekonstruiert Regina Scheer: »Ahawah. Das vergessene Haus« (AtV, 330 S., 17,90 DM).
Frauen, die in der Nazizeit gemeinsam eine Schulklasse besuchten, erinnern sich an ihre unterschiedlichen Lebenswege nach 1945. Aufgeschrieben hat ihre Geschichten Marie Lammers: »Lebenswege in Ost- und Westdeutschland« (Fischer Taschenbuch, 331 S., 16,90 DM).
Für die Beck'sche Reihe »Wissen« schrieb Dieter Hein über »Die Revolution von 1848/49« (143 S., 14,80 DM).
Eine Auswahl von Ralph Giordanos Reden und Schriften sind unter dem Titel »Wir sind die Stärkeren« (337 S., 44 DM) im Rasch und Röhring Verlag erschienen. Der Verlag gab zum heutigen 75. Geburtstag des Publizisten auch eine Neuausgabe seines Werkes »Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein« (374 S., 44 DM) heraus.
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