? »Ich eß'auch Currywurst!«
Grufti-Idol Alexander Veljanov über sein erstes Soloalbum, Turmzimmer sowie Lack- und Lederbauern
Alexander Veljanov, 1965 in Ohrid/ Mazedonien geboren, gilt als Identifikationsfigur der schwarzen und obskuren Jugendbewegung. Jetzt veröffentlichte er sein erstes Soloalbum »Secrets of the SilverTongue«. Nach 13 Jahren erfolgreicher Arbeit mit dem Musikprojekt »Deine Lakaien«. Dominic Heilig fragte ihn nach Kult, Kommerz, Klamotten.
? Wie bist Du zu Deiner Art Musik gekommen?
Ich habe Mitte der 80er mit schwarzer Gothicmusik angefangen, zu einer Zeit, als »New Wave« tot war Elektronikbands wie »Soft Cell« und »Japan« hatten sich aufgelöst. Solche Musik war verpönt. Ernst Hörn, Pianist und Schlagzeuger der Lakaien, war damals noch am Badischen Staatstheater in Karlsruhe Kapellmeister. Er träumte von einem eigenen Tonstudio. Als elektronische Orgeln plötzlich erschwinglich wurden, hängte er kurzerhand die Theaterkarriere an den Nagel und baute ein Studio in München auf. Zu der Zeit studierte ich dort Anglistik und Theaterwissenschaften. Zusammengebracht hat uns eine banale Zeitungsanzeige von Ernst: »Elektronikmusiker sucht experimentierfreudigen Sänger«. 1985 nahmen wir unsere erste Platte auf. Ohne Chance auf einen Plattenvertrag haben wir sie im Mai 1986 selbst auf den Markt geworfen.
? Die »Gothic-Szene« wirft Dir vor, Du würdest »Kommerz« machen.
Als wir 1991 in der schwarzen Musikszene bekannt wurden und bei Konzerten vor tausend, Leuten standen, begannen Hardcore-Grufties, unsere Musik zu verabscheuen. Sie haßten uns, weil nicht mehr nur Anhänger der Gothic-Szene, sondern auch Rocker unsere Lieder mochten. Die schwarze Szene mit ihrem Klamottenkodex warf uns deshalb Kommerz vor Ich bin aber nicht der Hausmusikant, der Lakai für eine Modeszene. Wenn ich die ganzen Lack- und Lederbauern aus Süddeutschland sehe - das ist doch müde peinlich. Wir haben versucht, spannende elektronische Musik zu machen.
? Die schwarze Musikszene gibt sich zurückgezogen, fast familiär. Dadurch wird es schwer, Anschluß zu finden. Woran liegt das?
Die Szene gibt es seit den frühen 80ern. Angefangen hat das in London, es folgten Berlin und Hamburg. Dann war Schluß. Zu einer Renaissance kam es zu Beginn der 90er Mit einer neuen Generation. In der ist es unheimlich schwer, Kontakt zu finden. Dieses Verschlossene, diese Cliquenwirtschaft. Da existieren viele verschiedene Fraktionen, von der harten Musik wie Rammstein und Lacrimosa bis hin zur romantischen Musik wie Wolfsheim. Das einzige, was die Fraktionen verbindet, ist dieser Kleiderkodex. Was mich eigentlich stört, ist das Unpolitische der Szene. In den Medien lassen sich ihre Anhänger als Trottel hin-
stellen, als dumme Grufties. Als womöglich von braunen Sekten infiltriert.
? Der Vorwurf gründet sich auf Texte vieler Bands.
Es gibt nur wenige, die sich gegen solche Vorwürfe wehren. Ich schon. Andere kokettieren auch noch mit diesem braunen Gesocks. Gruppen, die seit Jahren immer wieder mit den gleichen Symbolen provozieren, müssen auch mal Stellung beziehen. Es kann sich kein Musiker unter dem Deckmäntelchen der Kunst verstecken. Gerade weil das Problem der Rechtsradikalität so groß und aktuell ist.
? Du wirst als Sprecher der schwarzen Jugendkultur bezeichnet. Hast Du Probleme damit?
Kein Mensch ist so eindimensional wie seine Rolle. Sogar Fans stellen sich vor, ich sei der weltfremde Mystiker, der nachts bei Vollmond und Kerzenlicht in seinem einsamen Turmzimmerchen sitzt und über die Liebe schreibt. Das macht kein Mensch. Ich eß' auch Currywurst und geh' bei Karstadt einkaufen.
? Eltern haben Angst, wenn sie hören, daß ihr Kind sich für die schwarze Szene interessiert. Sie denken an Totenmessen und Vampirismus.
Ich sehe bei »Deine Lakaien« keine Särge und keinen Totenkult. Sicher aber eine Auseinandersetzung mit dem Tod. Die findet aber auch bei Schubert und Shakespeare statt.
? In diesem Monat wurde die erste Veljanov Solo-CD »Secrets ofthe Silver Ton-
Foto: Andrea Pietzner
gue« veröffentlicht. Eine späte Befreiung? Oder warum hat man 13 Jahre auf diese Scheibe warten müssen?
Am Anfang habe ich alle Kraft auf die »Lakaien« konzentriert. Und es hat bis 1991 gedauert, bevor irgendwas losging. Dann hat uns der Erfolg überrumpelt. Tourneen, Festivals, eine neue Platte. Das war arbeitsintensiv, so daß ich kaum Zeit für andere Dinge hatte. Letztes Jahr wurde mir bewußt, daß ich innerlich ausgebrannt war. Ich brauchte Erholung und Abwechslung. Ich fand Material, das ich irgendwann geschrieben hatte. Und so entstand mein erstes Soloalbum. Trotzdem sehe ich das Album nicht als Befreiung von den Lakaien. Das Projekt soll weiter bestehen.
? Im Presseinfo zur CD steht, daß die neuen Songs »Sonne ins Dunkle lassen«.
Das soll provozieren. Wenn man Ver-
gleiche mit alten »Deine Lakaien«-Platten macht, soll das Leute wachrütteln, die »gäähhn« machen und sagen »Ach Lakaien, weg damit«. Es war ein Risiko, kein Konzeptalbum unter dem Projektnamen »Deine Lakaien« zu veröffentlichen. Aber es scheint zu funktionieren. Die Platte ist kurz nach Erscheinen in den deutschen Top 100 auf Platz 66 eingestiegen.
? Deine CD bewegt sich ein Stück weg vom Synthy-Pop der Lakaien. Viele unterschiedliche Stile werden von Dir auf der neuen Platte vereinigt. Welche Definition läßt sich für Dein Album finden?
Ich hasse das Wort Synthy-Pop. Ich denke auch nicht, daß die Lakaien so etwas machen. Die neue Platte ist kein Pop und kein Rock. Keine Ahnung was es ist. Es sind einfach gesangsorientierte, zeitlose Songs.
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