Eine einstige dänische Fähre hat die internationale Debatte um die Schiffsverschrottung in Südasien neu angeheizt. Dort werden unter skandalösen Bedingungen die meisten ausrangierten Ozeanriesen demontiert.
Was wird aus der »Kong Frederik IX«? Diese Frage treibt vor allem Umweltaktivisten um. Doch auch das dänische Umweltministerium schlägt Alarm: In einem Brief hat das zuständige Kabinettsmitglied Connie Hedegaard ihren indischen Amtskollegen aufgerufen, dem Schiff als Sondermüll nach dem Baseler Abkommen vom 2004 die Landung und Demontage an seiner Küste zu verweigern.
Inzwischen liegt die Schrottfähre vor Alang, Indiens und der Welt größtem Schiffsfriedhof. Indiens Behörden haben auf den Brief aus Kopenhagen noch nicht reagiert, wollen erst selbst das ökologische Gefahrenpotenzial analysieren, das von dem alten Fährschiff ausgeht.
163 Länder hatten sich im Herbst vorigen Jahres in Basel über einheitliche Mindeststandards bei der Schiffsverschrottung verständigt. Die Unterzeichnerstaaten der Vereinbarung wollten damit vor allem den Transport der zur Demontage anstehenden Ozeanriesen in Billiglohnländer minimieren, mittelfristig gar ganz unterbinden.
Der aktuelle Fall zeigt, dass dies noch ein Wunschtraum ist und große Anstrengungen notwendig sind, um das Abkommen in die Realität umzusetzen. Schließlich sind es pro Jahr weltweit etwa 700 Frachter und Passagierschiffe, die endgültig außer Dienst gestellt werden und somit in ihre Einzelteile auseinandergebaut werden sollen. Mindestens 300 davon landen allein in Alang, insgesamt etwa 70 Prozent in Indien, Pakistan und Bangladesch. Der Schiffsfriedhof im dortigen Chittagong hat einen ähnlich schlimmen Ruf wie der im westindischen Unionsstaat Gujarat gelegene von Alang. Aber auch China und die Türkei verfügen über ähnliche Anlagen, wo sich soziale und Umweltstandards nicht mit denen westlicher Länder messen lassen.
Umgerechnet kaum zwei Dollar verdienen die Arbeiter in Alang, die aber immerhin froh sind, mit einem regelmäßigen Einkommen, sei es noch so gering, ihre Familien ernähren zu können. Zwischen 30000 und über 40000 Männer sind auf den gut 200 Abwrackungsplätzen entlang des Strandes tätig. Schließlich dauert es Monate, allein eines der Schiffe zu demontieren, weshalb an etlichen parallel gearbeitet wird. Mit bloßen Händen, die sie um das Handwerksgerät klammern, hantieren die Beschäftigten. Schutzhandschuhe sind ebenso unbekannt wie Sicherheitsvorschriften. Arbeiter werden von umstürzenden Kränen erschlagen, bei Stürzen aus großer Höhe zerschmettert, tragen bei Explosionen oder Schnitten an den scharfen Metallkanten schwerste Verletzungen davon. Ganz zu schweigen von all den langfristigen Schädigungen durch zunächst unerkannte Umweltgifte in den Schiffswracks. Die Folgen zeigen sich nicht selten erst Jahre später. Schnell werden die Unglücklichen dann zum Pflegefall, ihre Familien stehen ohne Ernährer, aber mit hohen Arztkosten da.
Der in den frühen 80er Jahren eingerichtete Schiffsfriedhof von Alang hat inzwischen weltweit traurige Berühmtheit erlangt. Über die mehr als zwei Jahrzehnten währende Geschichte rücksichtsloser Gefährdung für Umwelt und lokale Bevölkerung, über die Unfähigkeit und das weitverbreitete Desinteresse der zuständigen staatlichen Behörden, ließen sich ganze Bücher schreiben. Desto größer erscheint der Skandal, dass der südostindische Unionsstaat Andhra Pradesh, einige Hundert Kilometer entfernt auf der anderen Seite des Subkontinents, jetzt eine neue Verschrottungsanlage nach dem Vorbild von Alang plant. Dies auch noch ausgerechnet in der Nähe von Mangrovenwäldern, die durch austretende Ölrückstände sowie die Überreste anderer giftiger Substanzen extrem gefährdet wären. Greenpeace startete deshalb eine Kampagne gegen das Projekt. Unterstützt wird dies von weiteren Umweltgruppen, Gewerkschaften und sozialen Verbände vor Ort, die kürzlich in der Staatenhauptstadt Hyderabad gemeinsam eine Großdemonstration gegen die Pläne organisierten. Die zuständigen Regierungsstellen allerdings zeigen sich vorerst unbeeindruckt.
Welch mafiose Strukturen teilweise hinter dem Verschrottungs-Tourismus in die Entwicklungsländer stecken, zeigt sich deutlich am aktuellen Fall der »Kong Frederik IX«. Statt der dänischen Spezialunternehmen, die sich um den Demontage-Auftrag beworben hatten, erwarb eine Briefkastenfirma in St. Vincent, einem Mini-Staat in der Karibik, das Schiff, das kurzerhand in »Frederik« umbenannt und neu beflaggt wurde. Auf ähnliche Weise hatte die gleiche Firma schon einmal ein dänisches Schiff nach Alang gebracht. Auch diesmal waren die Behörden des skandinavischen Landes zu langsam. Als sie einschreiten wollten, war die »Kong Frederik IX« bereits auf hoher See, schipperte über den Suezkanal, den sie am 10. April durchquerte, Richtung indischer Westküste. Dänemarks Regierung will den Fall zum Test für die Effektivität des Basel-Abkommens machen. Ob Indien dabei mitzieht, ist nun die Frage.