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DDR-Eisenbahner, die in eine Gesetzeslücke gefallen sind, suchen ihr Heil beim Bundestags-Petitionsausschuß

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Wolfgang Hübner

Bevor die Deutsche Reichsbahn zum Jahreswechsel 1993/1994 in die Bahn AG einging, wurden über 25 000 Mitarbeiter entlassen. Den Haken der Aufhebungsverträge erkannte mancher Betroffene erst später.

Eigentlich wollte Klaus Uhlmann bis zur Rente arbeiten. Über 38 Jahre war der Eisenbahner aus Chemnitz schon im Dienst, als ihn Ende 1993 eine bittere Nachricht erreichte: Er sollte im Rahmen einer größeren Entlassungswelle aufhören. Natürlich wäre er nie freiwillig gegangen, und auch die angebotenen 20 000 Mark Abfindung hätten ihn nicht gelockt. Doch im Falle einer Weigerung wäre ihm gekündigt worden, und so unterschrieb er den Aufhebungsvertrag, der sein Arbeitsverhältnis mit der Bahn am 31. Dezember 1993 beendete.

Nicht nur diese Tätigkeit war damit zu Ende, sondern Uhlmanns Arbeitsleben überhaupt. Er war zu diesem Zeitpunkt fast 58 Jahre alt und fand keinen Job mehr. Wenigstens aber wollte er eine alte

Vergünstigung für Bahnangestellte ein Anspruch nehmen - die Möglichkeit, gemeinsam mit seiner Frau weiter kostenlos die Bahn zu benutzen. Doch Uhlmann war ein paar Tage zu jung - in der Vorschrift über Fahrvergünstigungen heißt es, daß ehemalige Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn, die nach Vollendung des 58. Lebensjahres sowie nach mindestens 20 Dienstjahren ausscheiden und bis zur Rente keine neue Arbeit mehr finden, im Rentenalter wieder kostenlos mit dem Zug reisen dürfen. Klaus Uhlmann indessen feierte erst am 31. Januar 1994, genau einen Monat nach seinem letzten Arbeitstag, seinen 58. Geburtstag. Das nahm er zähneknirschend hin. Bis er erfuhr, daß im August 1994 eine neue Regelung in Kraft trat. Laut Vorruhestands-Tarifvertrag der Deutschen Bahn waren fortan Vorruheständler vom 56. Lebensjahr an nach mindestens fünfjähriger Tätigkeit für die Bahn zu Freifahrten berechtigt. Somit war Klaus Uhlmann haargenau in eine Gesetzeslücke gefallen. Denn benachteiligt waren plötzlich nur diejenigen, die bei ihrer unfreiwilligen Verabschiedung Ende 1993 knapp 58 waren. Also wandte sich Uhlmann mit der Bitte um Hilfe an den Petitionsausschuß

des Bundestages. Dort trafen weitere Beschwerden ein. Nach Informationen des Bundesverkehrsministeriums waren 8862 der 25 838 Bahnmitarbeiter, die Ende 1993 ausschieden, älter als 50 Jahre. Zu einer Auskunft darüber, wieviele von ihnen kurz vor dem 58. Geburtstag den Hut nehmen mußten, sah sich das Ministerium Ende 1997 in einer Antwort an den Ausschuß nicht in der Lage, »weil weitere Personaldaten aus dieser Aktion nicht zur Verfügung stehen«.

Allerdings hatte das Ministerium bereits im Mai 1996 in einem Schreiben an Uhlmann eingeräumt, daß Ende 1993 »viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kurz vor Vollendung des 58. Lebensjahres ausgeschieden« sind. Man »sehe sehr wohl die Härte« für einzelne ehemalige Mitarbeiter, könne aber keine Ausnahmen zulassen - schon deshalb nicht, weil die '93er Aufhebungsverträge noch von der Deutschen Reichsbahn ausgegangen waren, während sich der Tarifvertrag vom August 1994 auf die inzwischen entstandene Deutsche Bahn AG bezog. Deshalb erklärte das Bundesverkehrsministerium, es sei für Uhlmanns Ansprüche sowieso nicht zuständig, denn frühere

Reichsbahnmitarbeiter hätten sich an das Bundeseisenbahnvermögen zu wenden.

Mit diesem Kompetenzstreit kam der Petitionsausschuß bisher noch nicht zu Rande. Die PDS-Abgeordnete Heidemarie Lüth plädiert für eine Übergangsregelung, um ausgesprochene Härtefälle zu mildern und Leute wie Klaus Uhlmann nach einem jahrzehntelangen Arbeitsleben nicht mit einem Tritt zu verabschieden. Nach Lüths Ansicht müßte das Bundeseisenbahnvermögen, das Finanzminister Theo Waigel untersteht, für die Freifahrten aufkommen. Die Diskussion über dadurch entstehende Kosten ist für Lüth eine Scheindebatte. Denn erstens weiß niemand, wieviele ehemalige Reichsbahn-Mitarbeiter die Freifahrtregel um bis zu zwölf Monate verpaßt haben - da würde Lüth die Grenze für Härtefälle ansetzen -, und zweitens ist nicht davon auszugehen, daß die Bahnpensionäre ununterbrochen mit dem Zug durch die Lande reisen.

Der Fall, daß sich freifahrtberechtigte Rentner Plätze reservieren, die ansonsten zahlende Kunden besetzen würden, dürfte die Ausnahme bleiben. Die meisten Züge sind nicht gerade voll besetzt, was die

derzeitigen Auseinandersetzungen um Fahrplankürzungen beweisen. Ob in dieser Wahlperiode eine Lösung gefunden werden kann, ist unklar Heidemarie Lüth hofft, daß wenigstens ein Anspruch auf Fahrpreisermäßigung für die ehemaligen Eisenbahner herauszuholen ist.

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