- Politik
- Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49
Das Recht auf Arbeit blieb vor der Kirchentür
Sozialpolitische Fragen spielten in der Paulskirche, Domizil der am 18. Mai 1848 gewählten Frankfurter Nationalversammlung, bekanntlich eine untergeordnete Rolle. Dies hing vor allem mit der Zusammensetzung des Parlaments zusammen. Es dominierte eine Vierfünftelmehrheit der Liberalen. Im Vordergrund standen für sie die strukturellen Verfassungsprobleme.
Ende 1848/Anfang 1849 verstärkte sich jedoch das öffentliche Interesse an der sozialen Problematik in Deutschland, und es wuchs der Druck auf die Versammlung, sich dieser Fragen anzunehmen. Trotz einer sektoralen wirtschaftlichen Belebung blieben Arbeitslosigkeit bis zu 20 Prozent der Arbeitsfähigen (und mehr) und die Armut großer Teile der Bevölkerung bestehen. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zeitigten nicht das erhoffte Ergebnis.
Von insgesamt ca. 30 000 Eingaben an die Frankfurter Nationalversammlung mit rund drei Millionen Unterschriften waren etwa 7000 sozialpolitischen Inhalts. Es häuften sich Klagen über die »Massenverarmung«, »Nahrungs- und Eigentumslosigkeit« und »Proletarisierung«. Viele verlangten nach einem menschenwürdigen Verdienst, nach Steuerminderungen, nach besserer Armenfürsorge. Das häufigste Verlangen war der »Schutz vaterländischer Arbeit«, eine Forderung, in der sich die Interessen von
Arbeitern und Handwerksgesellen, aber auch von Handwerksmeistern und Fabrikbesitzern bündelten.
Die Petitionswelle hat dazu beigetragen, die Arbeiterfrage vor die Frankfurter Nationalversammlung zu bringen, auch wenn sich die liberale Mehrheit dieses Parlamentes in sozialpolitischer Hinsicht völlig abstinent zeigte, ja sich zur Debatte über dieses Thema förmlich tragen ließ. Was heute ins Auge fällt, ist nicht nur die Ähnlichkeit mancher Probleme mit denen der Gegenwart, sondern auch die Tatsache, wie weit Liberale und Neoliberale in der Beurteilung sozialer Probleme damals und heute übereinstimmen, oder wie wenig sich liberales Denken in 150 Jahren bewegt hat. Der Volkswirtschaftliche Ausschuß der Frankfurter Nationalversammlung: »Bedürfnisse schaffen die Arbeit, aber weder Bedürfnisse noch Arbeit lassen sich durch Decrete schaffen, so wenig das Capital sich zwingen läßt, der Arbeit in einer bestimmt vorgeschriebenen Weise zu dienen... die Triebfeder der Arbeit ist der Besitz; wird der Besitz in Frage gestellt, so hört die Triebfeder der Arbeit auf, die sich weder mit Gewalt, noch künstlich dauernd in Bewegung erhalten läßt. Wollte der Staat jedem eine seinen Kräften angemessene Arbeit und dieser entsprechenden Lohn verbürgen, so würden die Arbeiter zur Unmündigkeit herab- und in gänzlicher Erschlaffung versinken. - Jeder Sporn zur Thätigkeit, des Vorwärtsstrebens, jede Anstrengung zu Ueberwindung von Schwierigkeiten würde vermieden, der
Trieb zur Selbsthülfe, Selbstsorge, die ganze Intelligenz würde vernichtet werden, die große Masse würde sich mit dem täglichen Brode begnügen, den Staat als Vormund betrachten und diesem die Sorge überlassen, es herbeizuschaffen.«
Keine Eingriffe und Reglementierungen oder soziale Sicherungssysteme zugunsten der Armen oder Arbeitslosen darin bestand Konsens zwischen den verschiedenen liberalen Fraktionen in der Frankfurter Nationalversammlung, auch zwischen Schutzzöllnern und Freihändlern. Fast einheitlich die Meinung, Prosperität setze die besten Rahmenbedingungen auch für das Schaffen von Arbeitsplätzen, unterschiedlich - je nach Herkunft - die Auffassung, wie diese Prosperität am besten zu erreichen sei. »Schutz der Arbeit nach Außen«, »freie innere Bewegung«, »die Sache ihrem naturgemäßen Lauf überlassen« - das waren häufig wiederkehrende Schlagworte. Wenn es dem Unternehmer gut gehe, lasse es sich auch für den Arbeiter gut leben - dies die simple und doch klassische Prämisse von Liberalen und Neoliberalen.
Zwei Abgeordnete der äußersten Linken, der Mainzer Redakteur Friedrich Schütz (1813-1877) und der Trierer Advokat Ludwig Simon (1810-1872) gaben der wirtschaftspolitischen Debatte eigentlich erst zum Schluß auch eine gesellschaftliche Dimension. »Wir verlangen in unserm Antrag«, so Schütz, »daß dem unfreiwillig Arbeitslosen von der Gemeinde und beziehungsweise vom Staat die Arbeit gesichert werde ... Ich, meine
Herren, gebe Ihnen nicht das Recht auf Arbeit als das Mittel aus, augenblicklich in unserm Vaterlande alles Elend verschwinden zu machen; ... aber was ich in dem Recht auf Arbeit finde, was ich durch die Aufnahme dieses Artikels in unserer Verfassung erstrebe, das ist... die Möglichkeit, ... daß die menschliche Gesellschaft endlich werde, was sie sein soll, d. h. eine Gesellschaft von Arbeitern, eine Gesellschaft, welche jedem Men-
sehen die Möglichkeit eröffnet, durch Anwendung seiner geistigen oder physischen Fähigkeiten den seiner Thätigkeit gebührenden Gewinn zu finden«.
Mit 317 zu 114 Stimmen lehnte es die Versammlung ab, das Recht auf Arbeit in die künftige Verfassung aufzunehmen. Wichtig war dennoch die Tatsache, daß von vielen Menschen als drückend empfundene Probleme ins Licht der Öffentlichkeit gerückt worden waren.
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