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  • Politik
  • Abschiedskonzert für Gerhard Gundermann

Hoffnung auf Zukunft

  • Christine Wagner
  • Lesedauer: 4 Min.

Eines Tages wird Conny Gundermann ihrer heute sechsjährigen Tochter die unzähligen Briefe, Gedichte und Kondolenzbücher zum Tod ihres Mannes übergeben. Damit Linda erfährt, »was für einen besonderen Vater sie hatte«. Der singende Baggerführer aus der Lausitz war tatsächlich ein einmaliger Mensch. Als »Tankstelle für Verlierer« fing Gerhard Gundermann das widersprüchliche Lebensgefühl der 30- bis 45jährigen im Osten nach der Wende in seinen Liedern ein. Seine Konzerte waren immer überfüllt, weil dort Arbeitslose, Intellektuelle, Handwerker und Studenten das kraftschöpfende Gemeinschaftsgefühl fanden, das sie nach dem Untergang der DDR schmerzlich vermißten.

Das war es wohl auch, was rund 5000 Menschen trotz Regen am vergangenen Samstag zur Freilichtbühne nach Wei-ßensee trieb. Selbst Stehplätze waren rar bei dem Konzert zum Abschied von »Gundi«, und auch draußen vor dem Zaun füllten sich die Wiesen mit Neugierigen. Nichts von der bierseligen Larmoyanz wie vier Wochen zuvor bei der Ade-Party für den verstorbenen Gerulf Pannach, Texter der legendären Renft-Combo, war in Wei-ßensee zu spüren. Dafür viel neue Energie, Wut und Hoffnung, die der Trauer um Gundermann als der wichtigsten Oststimme der Gegenwart entsprang. Gundi selbst lebte wohl zu schnell, zu heftig und distanziert, um bei sich anzukommen. Sein Tod aber löste mit der persönlichen Betroffenheit eine Welle von Emotionen aus, die einen kreativen Schub der Engagiertesten der Ostmusikszene förderte. Die rund 200 Männer und Frauen auf und hinter der Bühne verzichteten auf

ein pflichtgemäßes Nummernprogramm. Statt dessen schickten sie schon mit Beginn des druckvollen Konzertes die Botschaft hinunter ins Publikum: Wir stehen hier zusammen auf der Bühne, um Gundis Erbe miteinander zu teilen und weiterzutragen - damit eine neue »Seilschaft« entsteht. Ein Netz ehrlicher Gleichgesinnter, das sich Gundi immer erträumte.

Die spielfreudigen Musiker von Gundis alter Seilschaft, Jams, der Brigade Feuerstein, Rakatak und Jams mischten sich

untereinander zu wechselnden farbigen Besetzungen, um die Künstler vorn am Mikro zu begleiten. Längst verschollen Geglaubte kehrten zurück auf die Bühne - die Pension Volkmann z. B., die mit »Satt zu essen« an lebensnotwendige Dinge erinnerte, die nicht nur durch den Magen gehen. Oder Aurora Lacasa, die Tochter spanischer Kommunisten, der die DDR eine Heimat wurde. Mit dem in ihrer Muttersprache gesungenen »So wird es Tag« schien es, als suche sie wieder nach ihren Wurzeln.

Gundermann-Lieder dominierten diesen mit Wolken behangenen Abend. Nur ab und an erklang eine Kopie, die die fehlende Distanz zu dem Toten ahnen läßt. Meist zeigte sich das Publikum überrascht von den eigenwilligen Interpretationen. Thomas Rühmann und Tobias Morgenstern z. B. packten Phrasen von Gundi-Songs in die Geschichte von John Franklin, der im 19 Jahrhundert als Ent-

decker der Langsamkeit die Schnelligkeit studierte - und scheiterte. Rakatak verwandelte »Heyah Heya« in ein Trommelgewitter Dirk Michaelis gewann zusammen mit dem Zuschauer-Chor dem »Sonntag in Schwarze Pumpe« eine traurig-fröhliche Nuance ab. Das Liedertheater des 2. Gymnasiums Treptow begeisterte mit seiner rotzig-frechen Art bei »Terminator RAF«. Hauptinitiator des Konzertes Andy Wieczorek und Friedemann Benner identifizierten sich mit entschlossen-wütender Stimme mit Gundi. Uwe Hassbecker erinnerte mit russischen Klängen auf seiner Geige an einen wichtigen Bezug Gundermannscher Songs. Bettina Wegner dagegen schickte ihm ein eher pessimistische Gedicht in den Himmel: »Du hast dein Ziel erreicht. Ich bin noch hier... ich denke an dich mit Trauer und Neid«. Gerhard Schöne sang »Alles gibt es ein letztes Mal«. Beifall gab es besonders für Lieder, die die ostdeutsche Traurigkeit des jahrelang begrenzten und nicht gelebten Lebens einfangen - für »Hoywoy« und »Mußt du weinen«.

Obwohl Klein-Linda zum Schluß des Konzertes mit »Der Mond ist aufgegangen« einen wohl optimistischen Schlußpunkt setzen sollte, klang ihre Stimme erwachsen traurig. Wird sie verstehen, was um sie herum passierte?

Gundermanns Tod hat den Wunsch nach Gesprächen unter den Ostdeutschen seiner Generation entfacht. Buschfunk veröffentlicht in diesen Tagen nicht nur ein Video mit dem letzten Gundermann-Konzert im Tränenpalast, sondern hat zur Gründung eines Freundeskreises aufgerufen. »Hier wäre. Raum, Möglichkeit und Sinn gegeben, mit seinem Nachlaß umzugehen, das Weiterspinnen seiner Ideen zu befördern, jungen Künstlern beizustehen, vor allem aber eine Agentur zum Leben zu bilden«, heißt es in dem Aufruf. Buschfunk erwartet Ideen und Meinungen.

Kontakt. Buschfunk, Rodenbergstr 8, 10439 Berlin, Tel. (030) 445 93 80, Fax (030) 444 72 89

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