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  • Politik
  • Zerstörung einer Legende - Die Kennedy-Brothers

Zwei korrupte, egoistische und sexsüchtige Brüder

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 4 Min.

In den 60er und 70er Jahren war der Name Kennedy Synonym für Tragödie. Heute steht er oft als Inbegriff der Farce. Zwei neue, umfängliche Bücher widmen sich nahezu ausschließlich den dunkleren Seiten der beiden Politiker. Das eine über JFK den glanzvollen Präsidenten John (»Jack«) Fitzgerald Kennedy (1917-1963), dessen Todestag sich an diesem Sonntag zum 35. Male jährt, ist jetzt auch auf Deutsch erschienen. Das andere über den gleichfalls ermordeten jüngeren Präsidentenbruder Robert (»Bobby«) Francis Kennedy (1925-1968) 2 gibt es vorerst nur im amerikanischen Original. Es ist jedoch, wie zu hören, per Vertrag bereits für eine Hollywood-Verfilmung geplant. Korruption und Machtmißbrauch, Vetternwirtschaft und Zusammenarbeit mit dem organisierten Verbrechen, Auftrag für politische Morde und Sex-Eskapaden in einer Zahl, die Clinton zum enthaltsamen Zeitgenossen machen - die Kennedy-Brüder werden in den jüngsten Biografien derart seziert, daß der Aufschrei des Protestes aus dem Kreis des Clans und der Fans unvermeidlich war

Seymour Hersh gehört zu den renommiertesten Journalisten der USA. Er erhielt einst für seine Reportage über das amerikanische Vietnam-Massaker von My Lai den Pulitzer-Preis. In fünfjähriger Recherche, die sich häufig auf Aussagen von Geheimdienstmitarbeitern stützt, hat Hersh ein Bild des Präsidenten gewonnen, das sich für den privaten Teil unter dem Motto »Ein Königreich für eine Hure«, für den öffentlichen unter der Devise fassen läßt: »Ein Kennedy befolgt keine Gesetze, er macht sich seine eigenen«.

Der Aufstieg des gutaussehenden, intelligenten Senators aus Massachusetts zum Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei und im November 1960 zum 35. US-Präsidenten wurde mit beispiellos viel Geld gepflastert: Mit Millionen aus dem Schatz der Familie, aber auch mit Millionen aus korrupten Gewerkschaftskreisen. Hersh läßt Zeugen aufmarschieren, denen zufolge der äußerst knappe Wahlsieg JFK's gegen Nixon mit »Schmiergeld- und Bestechungszahlungen« regelrecht gekauft wurde und bei denen Mafioso Sam Giancana - mit dem sich Kennedy auch die Mätresse Judith Campbell-Exner teilte - eine Schlüsselrolle spielte. Hersh präsentiert auch eine Neuigkeit innerhalb der nach Dutzenden Bänden zählenden Kennedy-Literatur-1962, kurz vor den Kongreßwahlen, brach ein Geheimagent des Rüstungskonzerns General Dynamics in die Wohnung der Kennedy-Gespielin Campbell-Exner ein, um Belastungsmaterial gegen den Präsidenten und damit den Zuschlag für ein milliardenschweres Rüstungsprojekt vor der Konkurrenz zu sichern. Kennedys Erpreßbarkeit, die sich vor allem aus seinen häufigen außerehelichen Schnellimbissen in Schwimmbecken und Hotelzimmern, Flugzeugen und Segelbooten ergab, ist, wie der Buchautor behauptet, auch auf anderen Feldern ausgenutzt worden.

Eine zentrale These Hershs, dem man insgesamt kaum Niedertracht im Umgang mit der Person Kennedys nachsagen kann, ist der Vorwurf an den Präsidenten und Bobby. Sie haben sich vom Haß auf das damals gerade aus dem US-Hinterhof ausgescherte Kuba Fidel Castros so blind machen lassen, daß sie darüber auch den Weltfrieden aufs Spiel setzten. Hersh zeigt, in welchem Maße die 1961 von den USA gesteuerte und gescheiterte Invasion in der Schweinebucht (»die erste politische Niederlage in Jack Kennedys Leben«) vor allem auf antikommunistische Abneigung gegen Castro und historische Ignoranz für die Hintergründe des Systemwechsels auf der Zuckerinsel zurückgeht.

Auch die Karibische Krise vom Herbst 1962, als der Kalte Krieg zwischen UdSSR und USA in direkte Nähe eines atomaren Schlagabtauschs geriet, bewertet Hersh hinsichtlich des Verhaltens der Kennedys kritischer als in westlichen Quellen üblich. Während die Standardliteratur die Raketenkrise als Beleg für Kennedys Mut und gelungene Revanche für das Fiasko in der Schweinebucht sieht, zitiert Hersh den führenden CIA-Mann Sam Halpern mit den Worten: »Wir hatten den Eindruck, daß wir nicht für das Wohl der USA, sondern wegen einer Familienfehde auf Kuba arbeiteten.« Die Kennedys hätten Castro »aus persönlichen Gründen« verfolgt, und zwar, »weil der Name der Familie bei der Invasion in der Schweinebucht besudelt worden war ... Es ging nicht um die nationale Sicherheit.«

Der Buchautor rechnet an Quellen vor, daß die von Chrustschow ebenfalls in Kalter Kriegsmanier heimlich nach Kuba gebrachten Atomraketen dennoch nicht wie Kennedy tönte - auf Verschiebung des strategischen Gleichgewichts zugunsten der Russen zielten, sondern eher eine nachvollziehbare Antwort Moskaus auf »die wilden Sabotageakte, die immer neuen Attentatspläne und die militärischen Vorbereitungen und Manöver« Washingtons gegen Kuba und Castro darstellten. Hershs Resümee: »Erstmals in seiner Präsidentschaft betrieb Kennedy eine Außenpolitik, in der die Unbesonnenheit zum Ausdruck kam, die sein Privatleben prägte, aber auch seine Überzeugung, daß die üblichen Regeln für ihn nicht galten.« Das Urteil schließt die Selbstverständlichkeit ein, mit der die beiden von vielen Frauen angebeteten Lebemänner nackten Mord als Mittel der Politik planten (Castro, Lumumba, Diem, Trujillo). Das literarisch eher rohe, journalistisch packende Hersh-Buch führt den Autor, ähnlich wie Heymann in dessen Bobby-Biografie, zu dem Schluß: »Jack und Bobby Kennedy waren rücksichtsloser, als ihre glühendsten Anhänger es sich vorstellen konnten.«

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