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  • Politik
  • 70jährig starb August Everding

Genuß im Glanz

  • Hans-Dieter Schutt
  • Lesedauer: 3 Min.

August Everding: Bottroper Barock

Foto: dpa

Bottroper Barock. Kraftbolzen. Ein Filou der Umtriebigkeit. Dieses Persönlichkeitsprofil gefiel dem Betrieb und dem Feuilleton. Und es gefiel Everding selber Jahrzehntelang. Er konnte nicht stehenbleiben. Er lebte schnell. Irgendwann, die uralte Erfahrung, steigt das Herz aus. Nicht so bei Everding. Er hatte Krebs.

August Everding ist tot. 1928 als Sohn eines Propsteiorganisten in Westfalen geboren, studierte er Germanistik, Theaterwissenschaften, Theologie. Der langjährige Präsident des deutschen Bühnenvereins war Intendant der Münchner Kammerspiele und der Hamburgischen Staatsoper sowie Generalintendant der Bayerischen Staatstheater In den Kammerspielen war es ein gewisser Peter Stein, Regieassistent, der im Anschluß an seine Inszenierung von Peter Weiss' »Vietnam Diskurs« im Publikum Geld für die vietnamesische Befreiungsfront sam-

meln wollte. Fristlose Kündigung! Durch Everding. Ein Schatten auf der Weste eines »Glitzerlings.«

Der agile Impressario wurde zum Prototyp des Schauspielmenschen,'den es in den 60er Jahren aus Sehnsucht nach Internationalität und also einem ganz anderen Zuschnitt von Erfolg aus der Kärglichkeit der Sprechbühne ins Üppige des Opernbetriebes zog. Eine Flucht aus der damaligen Krise des Schauspiels? Everding lächelte: »Keine Flucht - ein Weg auf die hellere Seite des Mondes.«

Sein Theaterlehrer Hans Schweikart hatte ihn »fürs Amt« geprägt, Kortner für die Regie. Freilich: Wie ein Walser später sagte, Brecht habe ihn kaputtgemacht, so meinte Everding, Kortner habe ihn erschlagen. Mehr und mehr wurden die Arbeiten des nüchternen Realisten zu Wortopern, die nach der Musik suchten, und so wechselte Everding eines Tages nicht schlechthin das Metier, sondern den Sinnen-Raum, die Existenz. Wagner und Mozart erhob er zu Favoriten seiner Inszenierungen in aller Welt. Kein anderer als er hat fortan die in der

Oper notwendige wie aufwendige Vorausplanung, die Fahrpläne für Diven und Star-Tenöre mit Leidenschaft und funktionierendem Kalkül betrieben. Er, Striese an der Isar, Moderator und Manager, liebte Repräsentanz und konservativen Glanz. Den der Bühne, den des Geldes. Volldampf-Männer wie Everding empfinden die Zukunft vermittels ihrer Praxis: Alles ist Arbeit, ziemlich alles ist machbar Und zwischendurch eine dieser launigen, geistreichen Festreden oder Gesprächsrunden in 3sat, die sich zum eigentlichen Talent des Mannes entwickelten.

Als Chef des Münchener Prinzregententheaters betrieb er vor drei Jahren eine kostspielige Rekonstruktion des Hauses, die auch die staunenmachende Begabung des Geldeintreibers Everding unter Beweis stellte - der übrigens früher Seminare in der Münchener Universität dazu benutzte, seine Studenten als Komparsen im eigenen Theater einzusetzen (statt Honorar Seminarschein!). Auf diese Weise fand die Entdeckung von Veronica Ferres statt.

Zehn Jahre Intendanz sind genug, hat Everding einmal gesagt. Ein Satz, der fast zur Weisheit wurde - weil ihn bekanntlich die wenigsten befolgen. Allerdings: Nie hat sich Everding, wo er Abschied nahm, zurückgezogen. Er blieb der klei-

ne, wuchtige Gesellschafter, der genoß, daß sich die Schickeria mit ihm schmückte.

Sein Tod ist wieder ein Schlag. Gegen das, was man, ohne es exakt definieren zu können, den alten Schlag nennt.

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