»Sprechen Sie Deutsch?«

Albert Einstein und die Anglisierung der Wissenschaftssprache

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Wer sich sachkundig über die Naturwissenschaften informieren möchte, erklärte der britische Biologe Thomas Henry Huxley bereits 1869, sei in jedem Fach gezwungen, »ein halbes Dutzend Mal mehr Bücher in Deutsch als in Englisch oder Französisch zu lesen«. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Deutsch gleichsam die Weltsprache der Wissenschaften, spielten deutschsprachige Fachzeitschriften bei der Verbreitung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse eine führende Rolle. Es ist daher kein Zufall, dass Albert Einstein seine bahnbrechende Arbeit über die Relativitätstheorie vor 100 Jahren in den Leipziger »Annalen der Physik« publizierte. Doch schon nach der Niederlage Deutschlands im ersten Weltkrieg und mehr noch infolge der Vertreibung namhafter Forscher durch die Nazis verlor die deutsche Sprache ihre dominierende Rolle in der wissenschaftlichen Kommunikation. An ihre Stelle trat in Wort und Schrift das Englische. Für Einstein, der 1933 nach Amerika emigrierte, war dies ein gehöriger Kulturschock. Er sprach zwar fließend Französisch und konnte auch etwas Italienisch, für die englische Sprache hingegen fühlte er sich wenig begabt. Und er weigerte sich hartnäckig, seine Denkprozesse zu »anglisieren«. Wer sich bei ihm um eine Assistentenstelle bewarb, wurde zuerst gefragt: »Sprechen Sie Deutsch?« Denn Einsteins Englisch »war sehr simpel und bestand aus ungefähr dreihundert Wörtern, die er sehr eigenartig aussprach«, erinnerte sich der polnische Physiker Leopold Infeld, der von 1936 bis 1938 mit Einstein in Princeton zusammenarbeitete. So konnte Einstein das englische »th« nicht artikulieren und formulierte so ulkige Sätze wie: »I will a little tink.« Auch seine Studenten mussten bisweilen schmunzeln, wenn ihr berühmter Lehrer an der Tafel eine Gleichung ableitete und danach zufrieden feststellte: »Oh, he is a very good formula«. Wie schwer es den US-Amerikanern fiel, Einstein zu verstehen, macht auch eine Episode aus den 50er Jahren deutlich. Als der Nobelpreisträger im Fernsehen eine Rede auf Englisch hielt, gab er ein so unverständliches Kauderwelsch von sich, dass parallel zum gesprochenen englischen Text englische Untertitel eingeblendet werden mussten. Einstein starb am 18. April 1955 im Princeton Hospital. Kurz vor seinem Tod murmelte er noch einige Sätze in seiner Muttersprache. Doch die anwesende Krankenschwester verstand kein Deutsch, und so gingen die letzten Worte des Jahrhundertgenies der Menschheit für immer verloren. Ähnlich wie bei der Interpretation der Quantentheorie galt Einstein für viele seiner Kollegen auch bezüglich der Wissenschaftssprache als Fossil. Heute werden über 90 Prozent aller Fachpublikationen in den Naturwissenschaften in englischer Sprache abgefasst und publiziert. Lediglich in den Geisteswissenschaften hat sich das Deutsche zum Teil erhalten, da hier das traditionelle Wissen nicht so schnell erneuert wird wie in der Naturforschung. Gleichwohl haben Linguisten schon vor Jahren den Untergang der deutschen Sprache in der internationalen Kommunikation prophezeit »und sich gründlich geirrt«, wie ein Blick auf das Internet zeigt. Zwar sind rund 60 Prozent aller Webseiten derzeit auf Englisch verfasst. Doch mit einem Marktanteil von knapp 8 Prozent ist Deutsch die »Zweitsprache« im Internet, gefolgt von Französisch (5,6 Prozent), Japanisch (4,9 Prozent) und Spanisch (3 Prozent).
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