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  • Politik
  • X für U - die Möglichkeiten der Medienmanipulation scheinen unbegrenzt

Verlogene Bilder

  • Günther Schwarberg
  • Lesedauer: 4 Min.

Mein ganzes Berufsleben lang habe ich mit Fotos zu tun gehabt. Nicht als Fotograf, sondern als Textschreiber. Aber ohne Illustration ist ein Text nichts wert, wenn man für eine illustrierte Zeitschrift wie den »Stern« schreibt. Fotos machen eine Geschichte bildhaft. Und glaubhaft, denn viele Leser glaubten: Fotos lügen nicht. Dabei kann man mit Bildern schlimmer lügen als mit Worten, weil ihr Anschein für die Echtheit spricht.

Als der »Stern« vor ungefähr 20 Jahren zum ersten Mal eine große Reportage über die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik veröffentlichen wollte, gefielen dem stellvertretenden Chefredakteur die Fotos nicht. Die Arbeitslosen seien unfroh

und wirkten ungepflegt. Also wurden alle Bilder nachgestellt - Fotomodelle bekamen Tafeln umgehängt, auf denen stand: »Nehme jede Arbeit an«. Die Arbeitslosigkeit war zu einem ästhetischen Thema geworden, das angenehm in die Augen

ging-

Und als der »Stern«-Verleger die deutsche Nazigeschichte mit Hilfe von »Hitler-Tagebüchern« umschreiben lassen wollte, wofür mehr als ein ganzes »Stern«-Jahr vorgesehen war, suchten die Macher nach dokumentarischem Beweismaterial für die Echtheit dieses Schwindels. Es gab im Fotoarchiv Unmengen Hitler-Bilder, denn der Stern Verlag hatte sich den Besitz des Hitler-Fotografen Heinrich Hoffmann gesichert, und dessen Sohn arbeitete im Bildarchiv. Schließlich fand man ein Foto aus Hitlers Hauptquartier, auf dem eine Bettcouch und ein Regal mit Telefon und einem Bücherstapel zu

sehen waren. Eines dieser Bücher war ungefähr so dick wie die Kladden, die der Reporter Heidemann aus der Fälscherwerkstatt des Konrad Kujau besorgt hatte. Also erhielt ein »Stem«-Grafiker die Anweisung, in das Foto einen Pfeil einzuarbeiten. So wurde es betextet: »Beim Angriff auf Frankreich am 10. Mai 1940 bezog Hitler das Führerhauptquartier >Felsennest< in der Eifel, 65 Kilometer südwestlich von Bonn. Sein Tagebuch war immer dabei (Pfeil).«

Damals wußte in der »Stern«-Redaktion nur eine kleine Gruppe um die Chefredakteure Peter Koch und Felix Schmidt von den Manipulationen. Als sie aufflogen und die Chefredakteure zurücktreten mußten (nicht etwa der Verleger), verlie-ßen einige Redakteure den »Stern«, als erster Erich Kuby. Wir wollten diesen Kurs nicht mitmachen und wußten, daß es bergab gehen mußte. Henri Nannen, der damals Herausgeber war, tönte zwar: »In einem Jahr redet kein Mensch mehr davon.« Er wußte noch nicht, daß es mit seiner Glaubwürdigkeit zu Ende war

Heute ist das Bild vom angeblichen Hitler-Tagebuch in der Ausstellung »Bilder, die lügen« im Bonner »Haus der Geschichte« zu sehen (bis 28. Februar). Und es ist abgebildet in dem sehenswerten Begleitbuch, das noch viele andere Beispiele von unwahren Bildern bringt.

Allerdings vermisse ich Wesentliches. Die größte historische Bildfälschung war die Darstellung von Hitlers Eroberungskriegen in den Fotos und Filmen der »Propagandakompanien« und die Verächtlichmachung der jüdischen und kommunistischen »Untermenschen«. Das hat zur Vernichtung von Millionen beigetragen und vergiftet heute noch das Denken. Beispiel: Jeder deutsche Soldat wußte von den Verbrechen der Wehrmacht im Osten. Aber heute, fast 60 Jahre später,

behaupten neue Nazis, die Bilder der Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« seien Fälschungen. Und wieder glauben ihnen Tausende.

Das Buch bringt einfach zu viele Bildfälschungen aus der Stalinzeit und zu wenige aus der Gegenwart.' Außerdem ist es mir ziemlich wurscht, ob bei einem Foto von Diana mit ihrem Liebhaber Dodi dessen Kopf digital so gedreht wurde, daß es nach einem Kuß aussieht. Ich glaube, den Klatschzeitungen traut heute jeder Leser Fälschungen zu. Daß sich aus so etwas ein Riesenskandal und eine Millionenklage machen läßt, sagt genau so viel über unsere Zeit aus wie die klaglose Hinnahme von virtuellen Bildern der Angriffe auf Bagdad, in denen Millionen Fernsehzuschauern die punktgenaue Zerstörung von angeblichen Bedrohungspotentialen gezeigt wird, während die Militärs dafür sorgen, daß die Fotoreporter tagelang gar nicht ins Kriegsgebiet kommen.

Was dieses Buch deutlich macht, sind die unbegrenzten Möglichkeiten der Bildfälschung durch digitale Techniken. Jedes Ereignis, das nicht stattgefunden hat, kann man mit diesen Mitteln stattfinden

lassen. Durch unterlegte »Wasserzeichen« kann man Personen sympathisch oder unsympathisch machen, friedlich oder gefährlich wirken lassen.

Ein Beleg ist das Foto aus dem »Spiegel« 34/1996, das einen ermordeten Mann zeigt. Um den Täter in der Vorstellung des Lesers zu brutalisieren, werden Einschüsse im Körper und im Hintergrund hineinmanipuliert. Zur Stimmungsmache wird, fast unauffällig, das Gesicht des toten Mannes als Spiegelbild in die Blutlache projiziert.

Ich hätte gern etwas mehr über stimmungmachende Bilder erfahren, mit denen man die Bevölkerung beispielsweise gegen Serben und für Albaner einstimmt. Aber das fehlt. Ausstellung und Buch werden die Betrachter künftig häufiger fragen lassen, in welcher Form man sie gerade wieder anlügt. Übrig bleibt etwas ganz Unmodernes, hoffe ich: die Unterscheidung in unglaubwürdige und glaubwürdige Medien und Journalisten.

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