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  • Politik
  • ? Der Tod des Rudolf Friedrichs - Eine Mordstory

Schwache Indizien

  • Horst Schneider
  • Lesedauer: 3 Min.

Dieses Buch ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens erstaunt seine Entstehungsgeschichte. Zum 50. Todestag des sächsischen Ministerpräsidenten Dr. Rudolf Friedrichs gab Wolfgang Leonhard die »Forschungsfrage« vor: Es sei zu untersuchen, »ob unter den damaligen Umständen eine Ermordung als wahrscheinlich anzusehen ist oder ausgeschlossen werden kann«. Leonhard hegt seit Mitte der 50er Jahre, durch Robert Bialek und Erich Gniffke bestärkt, Zweifel daran, daß Friedrichs am 13. Juni 1947 eines natürlichen Todes gestorben ist, dessen Herzversagen vielmehr auf einen Giftmordanschlag seines Innenministers Kurt Fischer, eines »korrupten, machtgierigen Stalinisten« (»Deutschland Archiv« 5/97), zurückzuführen sei.

Als Leonhard nun also seinen Forschungsauftrag formulierte, kannte Ministerpräsident Biedenkopf die Antwort

längst. Karlheinz Blaschke, Professor für sächsische Geschichte, hatte ihm bereits im September 1991 im Ergebnis einer Recherche mitgeteilt: »Die äußeren Merkmale der schriftlichen Überlieferung und die inhaltlichen Tatsachen des Obduktionsbefundes lassen den zwingenden Schluß zu, daß der Tod (von Friedrichs) auf natürliche Weise eingetreten ist.«

Warum genügte Biedenkopf nicht die Recherche eines ausgewiesenen Wissenschaftlers, der von Quellenkritik etwas versteht? Und wie “kommt es zu der Interessengemeinschaft eines christdemokratischen Politikers und eines SPD-Landeschefs? Der Leiter des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismus-Forschung in Dresden, Klaus-Dieter Henke, informiert in seiner »Vorbemerkung«: »Das vorliegende Buch ist aus einem für die Drucklegung nur geringfügig überarbeiteten Gutachten hervorgegangen, das vom Hannah-Arendt-Institut auf Bitte des sächsischen Ministerpräsidenten Prof. Dr. Kurt Biedenkopf und des Landesvorsitzenden der SPD in Sachsen, Dr. Karl-Heinz Kunckel, am 30. September 1997

übernommen und der Sächsischen Staatskanzlei am 17 Juli 1998 überreicht wurde.« Für die Erledigung des Auftrages hatte das Institut von Biedenkopf (aus Steuergeldern) eine »Prämie« in Höhe von 19 800 Mark erhalten.

Der für den Buchtitel ausgewählte Satz »Einer von beiden muß so bald wie möglich entfernt werden« stammt aus einem Brief von Oberstleutnant Watnik an Oberst Tjulpanow vom 4. Mai 1947 In diesem wird auf Spannungen zwischen Ministerpräsident Friedrichs und seinem Innenminister Kurt Fischer hingewiesen, die eine gedeihliche weitere Zusammenarbeit zwischen beiden unmöglich machten. Das ist natürlich noch kein Indiz für eine Mordabsicht.

Der mittels re^ht schwacher Indizien belastete Innenminister und das vermutete »Giftopfer« bildeten in einer arbeitsund konfliktreichen Zeit, von Mitte 1945 bis Juni 1947, ein Gespann. Allein der Anteil beider, zusammen mit dem damaligen Landtagspräsidenten Otto Buchwitz, am Volksentscheid zur Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher am 30. Juni 1946 würde genügen, um ihnen einen Platz in der deutschen Geschichte zu sichern. Aber die CDU hat nach 1990, mit Billigung der SPD-Fraktion, nicht nur die Umbenennung der nach dem Kommunisten Fischer, sondern auch der nach

den Sozialdemokraten Buchwitz und Friedrichs benannten Straßen, Plätze, Brücken durchgesetzt. Sie sollten aus dem Gedächtnis der Dresdner verschwinden. Plötzlich erinnert man wieder an sie. Woher der Gesinnungswandel? Sicher nicht aus Liebe zur historischen Wahrheit.

Der »Berufsrevolutionär« und »Sowjetfreund« Fischer findet in den Augen der Autoren keine Gnade (S. 66f). Es interessiert sie auch nicht eine dezidierte Analyse der Rolle sowjetischer Offiziere beim Wiederaufbau Sachsens und Dresdens, sondern lediglich die »Mordpraxis der sowjetischen Führung« (S. 233f.) und ihrer ostdeutschen Gehilfen. Es ist schon bemerkenswert, wie da aus Gerüchten und Behauptungen von »Zeugen«, die zur Sache gar nichts aussagen können, ein Geschichtsbild konstruiert wird, dessen politische Absicht nur ein Dummkopf übersehen kann: Sozialdemokraten sollen erkennen, wie (lebens)gefährlich es angeblich ist, sich mit Kommunisten einzulassen. Kunckels Kurs auf die große Koalition ist »historisch« zu legitimieren.

Michael Richter/Mike Schmeitzner: »Einer von beiden muß so bald wie möglich entfernt werden«. Der Tod des sächsischen Ministerpräsidenten Rudolf Friedrichs... Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1999. 318 S., geb., 23,80 DM.

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