Die Klassenjustiz hat wieder zugeschlagen
8000 Mark Strafe und juristisches Pingpong um ein nicht mehr existierendes Trabi-Wrack Von Peter Kirschey
»Rote Fahne Verfahren: Richter Bräutigam hat wieder zugeschlagen.« So erfahren wir es auf einem Papier mit dem Namen »Internationale Presse Information«. Die »politische Repressionskampagne der deutschen Justiz gegen den Publizisten und Bürgerrechtler Stephan Steins geht weiter«, heißt es da knallhart auf dem Blatt. Der Angeklagte Steins habe, so ist weiter zu entnehmen, eine Beschwerde eingereicht, diese sei aber von eben jenem »berüchtigten Richter Bräutigam«. . »als unbegründet verworfen worden (Aktenzeichen 534 Qs 158/98)«. Bräutigam, das ist noch in Erinnerung, hatte im sogenannten Politbüroprozeß eine nicht gerade glückliche Rolle gespielt. Was war geschehen, daß ein Richter Bräutigam etwas als unbegründet verwirft, doch der Bürgerrechtler und Publizist Steins, einst bei der »Roten Fahne« aktiv, es für so wichtig hält, daß es verhandelt werden müßte? Steins soll, so
heißt es weiter, ohne Prozeß und ohne die Gewährung eines Rechtsanwalts für über ein weiteres Jahr in Gefangenschaft genommen werden. Nun langsam wird der geneigte Leser ungeduldig: Was, um Himmels Willen, ist geschehen, daß nur ein derartiger Aufschrei eine drohende Kerkerhaft abwenden kann? Vorwand, so erfahren wir, ist ein falsch geparkter PKW Trabant im Jahre 1993.
Um es etwas genauer zu erkunden, mußten wir eine kleine Informationsanleihe bei der Klassenjustiz und ihrer Pressestelle aufnehmen: Ja, bestätigte die Justizsprecherin, unter dem angegebenen Aktenzeichen sei tatsächlich eine Beschwerde des Herrn Steins als unbegründet verworfen worden.
Ausgangspunkt der Aktion ist ein abgestelltes Autowrack der Marke Trabant. Dieses Fahrzeug befand sich, wie es einem Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 8. Juni 1995 zu entnehmen ist, den Stephan Steins dem ND zur Verfügung stellte, am 15. September 1993 auf dem Mittelstreifen der Friedenstraße.
Farbe hellgrau, ohne Kennzeichen, Motorhaube, Stoßstangen und Rückleuchten, der Motor zum Teil ausgeschlachtet, die Reifen ohne Luft. Als POM (Polizeiobermeister) Schulz diesen Schandfleck auf deutschen Straßen bemerkte, schritt er unverzüglich zur Tat und versah das mißratene Kunstwerk mit einem roten Punkt. Am 29. September war das häßliche Stück dann verschwunden, von Staatswegen entsorgt.
Damit war der Fall nicht abgeschlossen. Wegen Zuwiderhandlung gegen das Abfallgesetz schob das Amtsgericht Tiergarten eine Bußgeldforderung von 8000 Mark nach. Steins war, wie es in einem Protokoll heißt, einsichtig, konnte aber nicht zahlen. Da jedoch auch Geldbußen bis zu 100 000 Mark möglich sind, wie die zuständige Richterin beim Amtsgericht locker konstatierte, sind 8000 Mark eine läppische Summe.
So ziegelte sich die Sache auf, wechselten Schreiben hin und her, nahm der verschrottete Trabi seinen Gang durch die juristischen Instanzen und war nun bei jenem berüchtigten Richter Bräutigam angelangt. Und der verhielt sich so, wie man es von einem Mann des Systems erwartet. Es blieb bei der Zahlungsaufforderung.
Für Stephan Steins ein klarer Fall von Klassenjustiz. Will man hier einen kritischen Journalisten über eine so herbe Ordnungsstrafe oder entsprechende Gefängnishaft mundtot machen? Steins hat bisher weder gezahlt, noch hat die Justiz ihn dafür ersatzweise ins Gefängnis gesteckt. Das Spiel'um den seit Jahren nicht mehr existierenden Trabi geht weiter.
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