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  • Politik
  • Mit dem Theatermann Gero Hammer im Gespräch

Abschied ohne Wehmut

  • Lesedauer: 7 Min.

Foto: Jürgen Meusel

Nach 44 Jahren Arbeit am und für das Theater verabschiedete sich Intendant Gero Hammer von seinem Ensemble in Halberstadt. Wir nahmen das zum Anlaß, um über Erfahrungen und Erkenntnisse in einem langen Theaterleben zu sprechen.

? Ein Abschied mit Wehmut?

Nein. Ich bin jetzt 66 Jahre. Und nach einem Jahr Volkstheater Halberstadt und sieben Jahren Nordharzer-Städtebundtheater halte ich das für legitim. Wer dieses Alter hat, sollte nicht fortwährend so tun, als ob er noch ein Heilsbringer sei. Theater hat immer was mit dem aktiven Teil der Bevölkerung zu tun, also: Die die Lebensprozesse bestimmenden Generationen müssen auch Theater machen, denke ich.

? Sie haben Erfahrungen mit der Leitung von Theatern in zwei Gesellschaftsordnungen. Wie würden Sie die Unterschiede charakterisieren ?

Theater damals hatte oft die Aufgabe übernommen, die Auseinandersetzung über gesellschaftliche Probleme zu befördern, die so kaum in der Öffentlichkeit verhandelt wurden. Diese Ersatzfunktion war eine seiner Lebensquellen. Das war eine besondere Wahrnehmung von sozialer Funktion. Ansonsten ist vieles vergleichbar, da es sich um die gleichen Strukturen handelte - die des deutschen Stadttheaters.

? Wie ist die soziale Funktion heute zu benennen?

Ich denke, sie besteht im wesentlichen in der Identitätsstiftung. Wenn sich die Leute in ihrem Theater zu Hause fühlen und sich mit ihm in Übereinstimmung befinden, dann hilft es ihnen, mit ihren Aufgaben fertigzuwerden. Ich stelle immer wieder fest, daß Versuche, im Theater auf spezielle soziale Mißstände aufmerksam zu machen, wenig funktionieren. Ich lasse dahingestellt sein, ob andere Kollegen andere Erfahrungen machen. Während in der DDR-Zeit die politische Einflußnahme unmittelbarer existent war - auch wenn man nicht selten bestimmte Anweisungen

unterlaufen konnte -, ist es jetzt tatsächlich den Intendanten überlassen, was sie wie spielen. Wenn allerdings über einen größeren Zeitraum an einem Haus mit wenig Publikumsresonanz gespielt wird, muß man sich schon Fragen gefallen lassen, ob man das richtige Konzept hat.

? Der Erfolg ist der Richter?

So könnte man es umschreiben

? In Ihre Amtszeit fiel noch die letzte Tagung des Deutschen Bühnenvereins. Dort wurde ja wohl auch über die komplizierte Situation der Stadttheater gesprochen. Hat man den Stein der Weisen gefunden, um die Probleme zu lösen?

Nein, natürlich nicht. Aber selbstverständlich wurde über die Situation der Theater und Orchester beraten. Vor allem die katastrophalen Vorgänge im Land Brandenburg. Aber unabhängig von diesen konkreten Vorgängen bin ich der Meinung, der Deutsche Bühnenverein müßte sich noch viel stärker als bisher politisch einbringen. Wenn man die deutsche

Theaterlandschaft ernsthaft sichern helfen will, darf uns nicht nur das Schicksal der Theater interessieren, sondern wir müssen helfen, die Öffentlichkeit stärker für ein allgemeines kulturelles Engagement zu aktivieren. Die Zeit verlangt massivere Stellungnahme und politische Einmischung.

? Aber was sollen die Kommunen machen, sie wissen nicht, wie sie die Pflichtaufgaben finanzieren sollen, Kultur gehört bekanntlich nicht dazu. Sie versuchen als Ausweg über kommerziell organisierte Events kulturelle Angebote für die Region zu machen.

Daraus dann eine Kulturkonzeption entwickeln zu wollen, halte ich für den verkehrten Weg. Gegenüber den Traditionen Deutschlands ist das geradezu verheerend. Aber es sieht tatsächlich so aus, als blieben Theater für viele Städte auf lange Zeit unbezahlbar. Da sehe ich eigentlich nur den Weg, den wir mit der Gründung des Nordharzer-Städtebundtheaters beschritten haben: sinnvolle Zusamenschlüsse unterschiedlicher Häuser verschiedener Städte. Ein anderer Weg könnte dort, wo besonders gute Voraussetzungen gegeben sind, die Spezialisierung sein. Das Problem ist doch nicht nur, daß die Kommunen immer weniger finanzielle Mittel durch ihre Länder bekommen. Auch die Tarifveränderungen bringen die Theater in zusätzliche Schwierigkeiten. Den 3,1 Prozent Einkommenszuwachs sind die Theater kaum noch gewachsen.

% Birgt das nicht Gefahr, daß Theater immer stärker zur kassenfüllenden Beliebigkeit mit ausschließlichem Unterhaltungswert verkommt?

Naja, gegen die Unterhaltung durch Kunst kann man ja nichts haben wollen, doch kommt es auf Gewichtungen an. Und vor die Tatsache gestellt, um den Preis des Überlebens Geld in die Kassen zu holen oder den eisernen Vorhang auf Dauer runterzulassen, werden sich viele Kollegen für das Spielen entscheiden. Denn es

ist nun einmal ein Tatsache, 60 Prozent der deutschen Theater kriegen keinerlei Mittel, um die 3,1 Prozent Einkommenserhöhung ihrer Mitarbeiter abfangen zu können.

? Den Theaterleuten wären aber ein paar Mark mehr zu gönnen, viele zählen ja nicht gerade zu den Gutverdienenden.

Dem wird sich kein Theaterleiter verschließen. Und doch muß man sich die Frage stellen, ob es verkraftbar ist. Der Bühnenverein ist ja bei den Tarifabschlüssen nur Subpartner der Tarifgemeinschaft der deutschen Länder.

? Er muß das realisieren, was andere in seinem Namen mitbeschließen?

So ist es. Andererseits muß man natürlich auch darüber nachdenken, ob wir in der Größenordnung Theater flächendekkend weiterführen können. Doch daß die Entscheidung darüber den Kommunen alleine überlassen bleibt und die Länder aus dem größeren Überblick über die Regionen der ordnenden Beratung zumeist ausweichen, ist nicht in Ordnung. Die Konferenz der Kultusminister müßte sich endlich mit der Situation der Theater und Orchester befassen. Es wäre das einzige Gremium mit Gewicht. Herr Staatsminister Michael Naumann hat keine Befugnisse, hier etwas zu ändern. Also bleibt es beim unheilvollen Selbstlauf ständig reduzierter Mittel

? 20 Jahre leiteten sie das Hans- Otto-Theater in Potsdam. Zu DDR-Zeiten war das eine wichtige Adresse für zeitgenössische Dramatik. Jetzt ist von dem Theaterprofil nur noch ein Torso übriggeblieben.

Was dort in den zurückliegenden Jahren mit dem Theater geschah, ist wirklich ein Trauerspiel.

? In den zurückliegenden Epochen wurden auf dem Theater große gesellschaftliche Probleme behandelt. Es gab große Widersprüche in der Gesellschaft und große Helden. Auch jetzt existieren große Widersprüche, aber die Helden aus den neueren Stücken werden eigentlich immer kleiner, sie sind oft nur auf ihre Individualität zurückgeworfen.

Ja. Aber ich bitte Sie, es ist doch fast undenkbar in der gegenwärtigen Zerfaserung der Gesellschaft, so etwas ähnliches wie ein Heldenbild aufzubauen. Und dann darf ich Sie daran erinnern, daß die Ge-

Seilschaft doch ausgesprochen schlechte Erfahrungen mit solchen Vorbildhelden gemacht hat. Die Gegenwart zeigt es doch wieder. Da hoffen die Leute, daß ein von den Jungsozialisten herkommender Newcomer als Bundeskanzler nun endlich die Figur ist, die alles zum Besseren richtet. Aber da muß man feststellen, daß auch der nur ein an die Umstände Angepaßter ist. So ist das- mit den Hoffnungsträgern. Wir haben ja damit auch unsere eigenen Vorwende-Erfahrungen. Ich habe übrigens eine interessante Beobachtung gemacht. Selbst dort, wo es in der Kunst unbestreitbar um große gesellschaftliche Bezugspunkte geht, reizt es das Publikum nicht mehr sonderlich. Die Aufgeschlossenheit für solche Fragen scheint gering geworden zu sein. Das bleibt natürlich nicht ohne Einfluß auf die Spielpläne. Ich muß der vielgescholtenen DDR-Bevölkerung, von der immer gesagt worden ist, sie sei so gleichgültig gewesen, bescheinigen, daß sie im hohen Maße aufgeschlossen und bereit war, ungewöhnliche Fragen anzunehmen und zu diskutieren.

? Wie sehen Sie die Entwicklung der Theaterkunst?

Ich wünsche mir, daß wieder mehr der Schauspieler im Mittelpunkt steht, nicht der Regisseur. Die pflegen heute die Schauspieler darauf abzurichten, ihre Ideen zu transportieren und ihre Verrücktheiten mitzumachen. Ich bin fest der Auffassung, daß das Theater der Zukunft wieder das Theater der Darsteller wird.

? Trauern Sie Vergangenem nach?

Das bringt nichts. Man muß sich auf Kommendes konzentrieren. Daß wir in der Wende beispielsweise etwas anderes gewollt haben, als jetzt eingetreten ist, das wissen wir doch alle. Und fortwährend die gebliebenen Wunden zu lecken, ist unprpduktiv. Die zurückliegenden Jahre haben doch jedem auch neue Erkenntnisse und Erfahrungen gebracht. So ist der schöne Idealismus der Wendezeit längst verflogen und der Traum von endlich wirklicher Demokratie hat sich an den realen politischen Verhältnissen schnell messen lassen müssen. Trotz der vielen und ersehnten Freiheiten haben wir erfahren, daß die Demokratie in dieser »reinen« Ausprägung nur dazu dient, die bestehenden Machtverhältnisse auszugestalten und zu erhalten. Wozu auch sonst?

Gespräch: Günter Görtz

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