- Politik
- 2. September 1945: Ho Chi Minh ruft die unabhängige Demokratische Republik Vietnam aus
Ein Schritt auf langem Weg
Vietnamesen kämpften noch Jahrzehnte um ihre Unabhängigkeit
Die Ereignisse im Jahr 1945 waren geprägt durch den Zweiten Weltkrieg, der vom ersten Tag an auch in Indochina und Vietnam nicht ohne Wirkung geblieben war. Die französische Kolonialverwaltung hatte schon unmittelbar nach Kriegsbeginn in Europa begonnen, die Ausbeutung der Kolonien zu verstärken. Ende 1939 wurden mehrere 10 000 vietnamesische Soldaten und Arbeiter nach Frankreich geschickt. Weit über eine Million Soldaten mussten während des Krieges für Frankreich kämpfen. Die Regierung in Paris übertrug den Kolonien in Indochina zusätzlich die Aufgabe, 3,5 Millionen Tonnen Nahrungsmittel - Reis, Tee, Kaffee, Zucker - sowie Seile und Kautschuk zu liefern. Die Arbeitszeit in Plantagen und Fabriken wurde für Männer von 48 auf 60 Stunden erhöht.
Unter doppeltem Joch
Die Niederlage der französischen Armeen im Jahr 1940 schwächte die Position der Kolonialmacht in Indochina. Japan nutzte diese Situation: Seine Truppen drängten in die nördlichsten Regionen Vietnams vor, die Kolonialverwaltung schlug sich auf die Seite der japanischen Faschisten: Beide hatten großes Interesse an einer Ausbeutung der Ressourcen. Etliche Kolonialisten profitierten zudem, indem sie beste Geschäfte mit den japanischen Besatzern machten.
Die Belastung der vietnamesischen Bevölkerung nahm dramatisch zu. Als eine der schwersten Bürden erwiesen sich die Zwangsabgaben für die Bauern. 1943 und 1944 mussten sie 130 000 bzw. 180 000 Tonnen Reis abliefern. Da die Ernten in diesen Jahren auf Grund von Unwettern schlecht ausfielen, kam es zu Hungersnöten. Eine galoppierende Inflation verschärfte Not und Elend. Kritik und Widerstand gegen diese Auspressung wurden von Franzosen und Japanern gleichermaßen unterdrückt. Widerstand leistete vor allem die Liga für die Unabhängigkeit Vietnams (Viet Nam Doc Lap Dong Minh Hoi), kurz Viet Minh genannt. Wesentlichen Anteil an deren Gründung hatte der Kommunist Ho Chi Minh, der 1941 nach vielen Jahren im Ausland nach Vietnam zurückgekehrt war.
Als sich die Kapitulation Japans im Weltkrieg abzeichnete, nutzte die Viet Minh die neue Situation und appellierte von einer nationalen Konferenz, die vom 13. bis 15. August in Tan Trao stattfand, an die Bevölkerung, die Befreiung schnell und entschlossen voranzutreiben, bevor Briten und die Truppen Tschiang Kai-scheks die Rolle Frankreichs und Japans übernehmen würden. Der Aufruf wurde befolgt: Am 19. August begann der Aufstand in Hanoi. Innerhalb einer Woche eroberte die Befreiungsfront 56 von 65 Provinzen. Als letzte Provinz fiel Ha Tien am 28. August.
Zum Jubel über den Erfolg blieb indes wenig Zeit. Schon am 2. September wurde der Versuch, die Unabhängigkeit in Saigon zu feiern, blutig unterdrückt. 47 Menschen wurden erschossen. Britische Truppen befreiten die gefangenen Franzosen und gliederten sie in ein Expeditionsheer ein. Im Oktober übernahm französisches Militär erneut die öffentlichen Institutionen und verhinderte im Süden Vietnams die Selbstbestimmung.
Im Norden musste sich die provisorische Regierung zunächst bemühen, eine neue drohende Hungersnot abzuwenden. Der Reis wurde streng rationiert und gleichmäßig verteilt; die Bevölkerung wurde aufgerufen, jeden zehnten Tag zu fasten. Gleichzeitig wurden der Anbau schnell wachsenden Gemüses gefördert und das Deichsystem repariert. Im Sommer 1946 gab es für die Menschen wieder das Nötigste zum Essen.
Einer der »Kleinen Tiger«
Von den 60 seither vergangenen Jahren waren 30 durch zwei entbehrungsreiche Kriege geprägt. Das Land wurde verwüstet, seine wirtschaftliche Entwicklung erheblich gebremst. Noch immer sieht die Regierung der heutigen Sozialistischen Republik Vietnam ihre wichtigste Aufgabe darin, die Armut zu beseitigen. Bis heute gehört Vietnam mit einem Prokopfeinkommen von ca. 560 US-Dollar zu den ärmsten Staaten der Erde - auch wenn sich diese Kennziffern in den letzten 10 Jahren fast verdoppelt haben.
Vom Boomland Vietnam und vom neuen »kleinen Tiger« sprechen derzeit viele, wenn sie über Vietnams Wirtschaft reden. Der Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau VDMA beispielsweise veranstaltet Seminare in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt, um die Exportchancen von Unternehmen aus der Bundesrepublik in Vietnam zu ergründen. Wirtschaftsdelegationen und hochrangige Bundes- und Landespolitiker besuchen Vietnam, um den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen voranzutreiben. Während ein erheblicher Teil der in Deutschland verkauften Textilien und Schuhe in Vietnam hergestellt wird, verkauft DaimlerChrysler monatlich 250 im Lande montierter Edelfahrzeuge an Vietnams neue Oberschicht. Vor fünf Jahren waren es noch 250 Fahrzeuge im Jahr. Der deutsche Autokonzern und zehn weitere setzen auf gute Geschäfte. Wie die sich auf Umwelt und gesellschaftliche Strukturen auswirken ist ihnen vermutlich ziemlich egal.
Die Wachstumsraten der vietnamesischen Wirtschaft sind in der Tat beeindruckend. Seit mehreren Jahren wächst das Bruttoinlandsprodukt jährlich um 7 bis 8 Prozent, für die kommenden Jahre sagt die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) ebensolche Steigerungsraten voraus. Grundlage dessen sind die Exporte und eine steigende Inlandsnachfrage. Die Industrieproduktion wuchs 2004 um 15,6 Prozent, der Dienstleistungssektor verzeichnete ein Wachstum von 7,5 Prozent. Natürlich ist das Ausgangsniveau niedrig. Viele Menschen müssen nach wie vor mit geringen Einkommen auskommen, die Hauptnutznießer der neuen Fabriken sitzen im Ausland oder gehören zu einer kleinen, reichen Oberschicht.
Seit Mitte der 80er Jahre, insbesondere nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Wirtschaftssystems, erlaubt Vietnam die Gründung privater Unternehmen. Ausländischem Kapital wurden günstige Investitionsbedingungen eingeräumt. Investoren aus Singapur, Taiwan, Japan, Südkorea und Hongkong - um die größten zu nennen - haben seit 1988 etwa 15 Milliarden US-Dollar in vietnamesische Niederlassungen und Gemeinschaftsunternehmen investiert.
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