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  • Politik
  • Heinrich Ehrhardt - ein deutscher Waffenfabrikant

Die Rüstung ernährt ihren Mann

  • Gerd Kaiser
  • Lesedauer: 5 Min.

Ehrhardt (am Steuer) in seinem Automobil auf der heute nach ihm genannten Straße in Zella-Mehlis

Eigenartigerweise stieß ich auf dieses Buch just in jenen Tagen, als deutsche Tornados über Jugoslawien brausten und Rüstungskonzerne sich auf neue Aufträge freuen durften. »Hammerschläge« sind die Memoiren des Kriegsgewinnlers Heinrich Ehrhardt überschrieben. Im Untertitel heißt es bescheiden: »70 Jahre deutscher Arbeiter und Erfinder« (als Reprint 1997 in der Heinrich-Jung-Verlagsgesellschaft Zella-Mehlis / Meiningen erschienen).

Seine erste Erfindung war eine »hydraulische Saugvorrichtung«, die aus einem Strohhalm bestand. Diesen führte der Knabe Heinrich durch die Luftlöcher eines wohlverschlossenen Schrankes in die Milchtöpfe der Großmutter im Haus »Am Hochwald«. Munter saugend, sahnte der fünfjährige Waisenjunge aus Zella St. Blasii ab. An seiner Wiege ward es nicht gesungen, daß er einmal auf ein Lebenswerk von 128 Patenten würde zurückblikken können. Niemand konnte ahnen, daß er der Gründer und Mitbesitzer so bedeutender Rüstungsunternehmen werden würde wie der lange Zeit als »Ehrhardt-Werke« bezeichneten und vor 110 Jahren, 1889, in Düsseldorf gegründeten Rheinmetall, darüber hinaus von Geschützbzw. Zünderfabriken in Zella und in Sömmerda sowie Fahrzeugwerken in Eisenach.

Heinrich Ehrhardt hat in den Jahrzehnten der Wende vom 19 zum 20. Jahrhundert nicht nur Technikgeschichte geschrieben, sondern durch seine Erfindungen auch Geschichte, überwiegend Kriegsgeschichte, gemacht. Seines und seiner Erfindungen Wertes wohl bewußt,

pfiff er im Unterschied zu anderen Industriellen-Dynastien wie Siemens, Krupp oder Opel auf die angebotene Erhebung in den Adelsstand der Schlotbarone.

Seine ersten Kämpfe in der Rüstungsindustrie waren Patentkämpfe. Auf das in Zella entwickelte »Verfahren zum Lochen und gleichzeitigen Formgeben von Eisen und Stahlblöcken in erhitztem Zustande« erhielt er am 28. Januar 1891 das Patent 67921. In seinen kaum bekannten Erinnerungen »Hammerschläge« hält er fest: »Die Lizenzerträge daraus beliefen sich für mich auf Millionen, und mehrere Millionen haben die von mir geleiteten Werke bzw. das in ihnen arbeitende fremde Ka-

pital damit verdient.« Entstanden doch nach diesem Verfahren Hunderttausende stählerner Schrapnell- und Granathülsen. Darüber hinaus übernahm es Ehrhardt ab 1889 in den ersten Werken der aus dem Boden gestampften Rheinmetall u. a. »einige Milliarden Gewehrgeschosse herzustellen«. Mit Millionengewinn.

Das Zellaer Werk diente Heinrich Ehrhardt sowohl als »Versuchsstation« als auch als »eine regulär fabrizierende und nach streng kaufmännischen Grundsätzen arbeitende Anlage«. Zu keiner Zeit scheute er sich, seine zahlreichen und rüstungstechnischen Erfindungen fremden Staaten, so sie nur zahlten, zu verkaufen.

Er förderte und verdiente nicht nur allein an der deutschen Aufrüstung zur Neuaufteilung der Welt im Ersten Weltkrieg, sondern auch an der Aufrüstung der potentiellen und zahlreichen Gegner des Deutschen Reiches: »Es blieb mir gar nichts anderes übrig, als meine Erfindungen ... in der für mich vorteilhaftesten Form zu verwerten. So habe ich die englischen und amerikanischen Patente recht nutzbringend verkauft. Die französischen, belgischen und italienischen Patente konnte ich im Juni 1895 zusammen verwerten.« Allein die »Societe Anonyme Francaise ... Systeme Ehrhardt« zahlte ihm für das erwähnte Patent zur Herstellung von Granathülsen 1 506 500 Mark und bestellte außerdem für knapp eine weitere Million bei Ehrhardt die für die Granatenproduktion notwendigen Maschinen. »Wir feierten... die Übernahme meiner Patente bei einem guten Essen auf der Plattform des Eiffelturms.« Nach dem Verkauf seiner Patente an Rußland gab man ihm im Winter 1896/97 auch in St. Petersburg ein Dinner im Kasino für Armee und Flotte. Es gab keinen künftigen Kriegsgegner, der nicht von Ehrhardt ausund hochgerüstet wurde. England - es führte u. a. seinen Kolonialkrieg gegen die Buren mit Ehrhardtschen Waffen - war sein »erster und recht bedeutender Kunde«.

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg trat Ehrhardt in Konkurenz zum bis dahin unangefochten marktbeherrschenden Kanonenkönig Krupp. Das geschah vor allem mit dem Ehrhardtschen Rohrrücklaufgeschütz, wodurch die Feuergeschwindigkeit der Artillerie bedeutend erhöht und die Treffgenauigkeit beträchtlich verbessert werden konnte. In Eisenach ließ er nach französischer Lizenz Automobile für den Munitionstransport produzieren sowie Protzen und Lafetten für »seine« Artillerie. In Sömmerda nahm er die technisch anspruchsvolle Zünderfertigung auf.

Ehrhardt ließ bei jahrelangen Versuchsschießen auf dem eigens in Zella angelegten Artillerieschießplatz nie sein Ziel aus dem Auge. Er »diente« bei den Versuchen nicht nur als Richtschütze, sondern gewann mit solcher Zurschaustellung seines Kriegswerkzeuges einflußreiche Politiker wie Graf Hertling und Erzberger für seine Rüstungsgeschäfte. Immer wieder lud er Offiziere des Kriegsministeriums nach Zella ein. Für seine Geschäfte bevorzugte er eine besondere Form der Korrumpierurig: Den staatlichen Munitionsfabriken überließ er seine Erfindungen »kostenlos«, jedoch verbunden mit der »Bitte, die Rheinmetall bei der Vergebung von Aufträgen wohlwollend zu berücksichtigen« - was auch geschah. Für einen Fachmann auf dem Feld der Rüstung wie Heinrich Ehrhardt war »die Entwicklung der Dinge« in Richtung auf einen Krieg hin »nur allzu deutlich zu sehen«.

Unverblümt gab Ehrhardt selbst nach 1918 zu, für einen Präventivkrieg gewesen zu sein. Seiner Devise »Geschäft ist Geschäft« folgend, lieferte Ehrhardt Rüstungsgüter ohne Rücksicht auf (menschliche) Verluste. Geschäfte machte er mit wem auch immer, wenn sie nur Gewinn versprachen. Seine Erfindungen brachten, eingesetzt auf beiden Seiten, Ehrhardt in den Materialschlachten des ersten Weltkriegs doppelten Profit. Bei jedem Trommelfeuer, ob auf französische oder deutsche Stellungen, bei jeder Feuerwalze, ob den Sturmangriff britischer oder deutscher Soldaten begleitend, klingelte es in seinen Kassen. Seinen Erinnerungen zufolge kannte er »keine Skrupel«.

Ohne Skrupel hängten nach der Wende 1989 die CDU-Stadtväter der Ehrhardtschen Heimatstadt Zella-Mehlis das überdimensionale Öl-Porträt des Kriegsgewinnlers im Sitzungssaal des Rathauses wieder auf. Und auch die einst nach dem Rüstungsindustriellen benannte und in DDR-Zeiten umbenannte Straße heißt wieder »Heinrich-Ehrhardt-Straße«.

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