Ein neuer Körper - warum nicht?
US-Neurochirurg hält Kopfverpflanzungen für machbar/Wegen fehlender Akzeptanz spricht er aber lieber von »Ganzkörpertransplantation«
Blutspende, Organspende, Körperspende - wo ist da der Unterschied? Dies mag sich der 73-jährige Neurochirurg Robert White von der Case Western Reserve University in Cleveland (US-Bundesstaat Ohio) vielleicht gefragt haben. Sein Urteil: Der Unterschied ist allenfalls technischer Natur. Es sei schon etwas schwieriger, sowohl den Kopf des einen Menschen als auch den Körper des hirntoten Spenders für die Dauer einer so aufwendigen Operation am Leben zu erhalten, erklärte er dem britischen Wissenschaftsmagazin »New Scientist« (Bd. 164, Nr. 2207, S.48).
Vorläufer hat Whites Idee keineswegs nur in den Phantasien von Mary Shelleys Dr. Frankenstein. In der September-Nummer der US-Zeitschrift »Scientific American« schildert er erste Versuche solcher Operationen aus dem Jahre 1908 (von dem US-Physiologen Charles C. Guthrie) und den 50er Jahren (von dem sowjetischen Wissenschaftler Wladimir P Demichow). Beide experimentierten mit
Hunden, die den Eingriff aber allenfalls einige Tage überlebten. Erfolgreiche Versuche habe es erst seit den 70er Jahren gegeben, als White und einige seiner Kollegen den Kopf eines Rhesusaffen mit dem Körper eines anderen verbanden. Nachdem das Tier aus der Narkose erwachte, erlangte es das Bewusstsein zurück und hätte aggressiv auf die Menschen reagiert. Der Kopf habe sehen und essen gekonnt. Allerdings seien auch diese Tiere nur acht Tage am Leben geblieben. Mit den Verbesserungen der medizinischen Technik seither könne man sich auch an Menschen wagen. White und seine Kollegen haben verschiedene Einrichtungen entwickelt, die es erlauben, das zirkulierende Blut im Kopf auf 10 °C abzukühlen, wodurch den Operateuren mehr Zeit für den Anschluss der Blutgefäße des »Spenderkörpers« bleibt.
Beim derzeitigen Stand der Neurochirurgie könne man allerdings noch nicht erreichen, dass der fremde Körper dem Kopf auch gehorcht. Denn das einmal durchtrennte Rückenmark ließe sich bis dato nicht wieder verbinden. Zwischen Gehirn und Körper bestünde also nur eine Verbindung über den Blutkreislauf. Der
fremde Körper wäre faktisch eine Art lebender Herz-Lungen-Maschine. Die Situation eines unheilbar Krebskranken, der sich einer derartigen »Ganzkörpertransplantation« unterziehen würde, wäre dann vergleichbar mit der eines Querschnittsgelähmten.
Ein weiteres offenes medizinisches Problem sei jedoch die Reaktion des Immunsystems. Es gebe bislang keine Vorstellung, ob sich die von anderen Transplantationen bekannten Abstoßungsreaktionen auch beim Kopf und dem Gehirn mit den bekannten Medikamenten beherrschen lassen.
Bleibt die Frage, ob das Gruseln über Frankenstein der Begeisterung über einen neuen strahlenden Fortschritt der Medizin weichen wird oder ob es - wie beim Klonschaf »Dolly« - einen Aufschrei der Empörung gibt. White selbst misstraut der Stimmung in seiner Heimat offenbar. Dem »New Scientist« verriet er, dass er daran denke, eine solche Transplantation in Kiew durchzuführen. Dort gebe es exzellente Chirurgen, mit denen er bereits gearbeitet habe, und einen nagelneuen Operationssaal. Ein Vorteil sei auch, dass die Presse leichter zu kontrollieren sei!
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