Wie aus der »Wismar« die »KRI Sutanto« wurde

Die deutsche Einheit verschluckte eine Armee und ließ die Pulverfässer dieser Erde fast platzen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
»Hau´ weg den Scheiß«, forderten Bürgerrechtler und Friedensgruppen in Ost wie West, doch die Bundesrepublik hatte Anderes vor mit den von der NVA ererbten Waffenhalden.
So richtig toll lief das nie mit der »Wismar«. Am 2. Oktober 1978 war die Korvette auf Kiel gelegt worden. Als erstes Schiff einer neuen Serie. Doch ein Schwesterschiff war früher fertig. So hieß die ganze Serie denn auch nicht »Wismar«, sondern »Parchim«. Wie alles, was einst die Aufschrift NVA getragen hat, wurde auch die »Wismar« am 3. Oktober in Bundeswehr-Verzeichnisse aufgenommen. Als Bordnummer war ihr die P 6170 zuerkannt worden. Doch es verging kein Jahr, da holte man auch die Dienstflagge der Bundesmarine nieder. Heute schwimmt das Kriegsschiff als »Karpal Republic Indonesia Sutanto« und jagt angeblich Piraten. Das jedenfalls sagte man der Öffentlichkeit, als man die »Wismar« nebst allen anderen NVA-Korvetten an das indonesische Militärregime verscherbelte. Dazu kamen noch rund zwei Dutzend Minensucher und Landungsschiffe. Dumm nur, dass nach deren Überstellung die Piratengefahr nicht abgenommen hat. Im Gegenteil, wenn Djakartas Soldaten nicht gerade Jagd auf Timor-Aufständische machten, beschossen die Ex-NVA-Schiffe Fischerboote von Nachbarstaaten. Andere DDR-Marine-Einheiten schlug man in Südamerika los, man verkaufte sie nach Afrika, überführte sie in Mittelmeerhafen oder machte damit die baltischen Staaten NATO-kompatibel. Manch Transaktion ging nicht ganz so auffällig »über den Tisch«. Nur Teil für Teil ließ sich nachweisen, wie man die kroatische Luftwaffe aufpäppelte. Mitten im jugoslawischen Bürgerkrieg. Gleiche Unterstützung widerfuhr kroatischen Heeresteilen, die dann im »Gewittersturm« Serben (zurück-)massakrierten und zehntausende Zivilisten aus der Kraijna vertrieben. Nicht einmal als ehemalige NVA-MiG-Piloten ihre Maschinen mit kroatisch-rot-weißem Schachbrett-Enblem identifizierten, war Bonn bereit, Farbe zu bekennen. Lange leugnete die Bundesregierung, dass man der Türkei, die gerade ihre größte Offensive gegen die aufständischen Kurden organisierte, mit BRT-60-SPW, 300 000 Kalaschnikows, Panzerbüchsen und tonnenweise Munition »unter die Arme« griff. Da das viel zu viel war für die anzurichtenden Massaker, fand sich allerlei davon dann in Irak und Aserbaidschan sowie in Bosnien und Kosovo wieder. Der erste Irak-Krieg der USA reduzierte die NVA-Arsenale erheblich. Für 1,2 Milliarden D-Mark hat Deutschland Material für die Angreifer geliefert. Die skandinavischen Staaten schleppten Technik für mehrere Brigaden aus Deutschland fort. Man spritzte braun-grüne Fahrzeuge weiß, um sie »humanitär« der UNO aufzubürden. Deutschland schoss mit solchem Handel an die Spitze der Rüstungsexporteure. Nur die USA konnte man nach Anzahl und Gewinn nicht überbieten. Dabei hat man nur teilweise seinen Exportfleiß zugegeben. Einiges flog auf. Beispielsweise gingen ganze Schiffsladungen nach Israel. Zum Teil als »landwirtschaftliche Maschinen«. Die dortige Verteidigungsindustrie muss gejubelt haben. Nicht nur, weil man untersuchen konnte, was beispielsweise syrische Feinde in ihren Arsenalen hatten. Wenn Israel noch heute stark im Waffen-Modernisierungsgeschäft osteuropäischer Staaten involviert ist, dann sicher auch, weil man aus Berlin entsprechende Vorleistungen erhalten hat. Reichlich bedient wurden natürlich auch verschiedene Bündnispartner, die damit das bereits schwer angeschlagene »Reich des Bösen« noch weiter ins Grab drücken konnten. Derzeit feiert die Bundeswehr 50-jähriges Bestehen. Ein herausragendes Jubelargument wird mit dem Begriff »Armee der Einheit« überschrieben. Nachdem Pfarrer Eppelmann als letzter zuständiger DDR-Minister - er führte »Abrüstung« im Titel - die Reihen der NVA gelichtet hatte, blieben 100 000 um einen Dienstgrad runtergestufte »Wachmänner« übrig. Davon wurden letztlich 3000 übernommen. Selbst in Supertruppenteilen - wie den MiG-29-Staffeln - hielt man sich nicht lange mit »Ossis« auf. Zunächst übernahm man 24 Jets und - nach »MfS-Reinigung« - 33 Piloten. Nach fünf Jahren schon waren von denen 19 ausgeschieden, Anfang des neuen Jahrtausends flogen noch vier Ex-NVAler im »Steinhoff«-Geschwader mit.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -