- Politik
- Jan Koplowitz zum 90. Geburtstag
Das bittere Kraut Geschichte
Da sitzt ein Mann, der 90 wird, zu Hause, in seinem »Poetenstübchen« unterm Dach und hat gerade einen Roman fertig, an dem er fast 15 Jahre gerackert hat. Er wollte eine wirkliche Geschichte schreiben, und die geht um seinen Sohn, den er aus der Türkei aus dem Knast geholt hat, verurteilt wegen Drogenbesitz, und der ihm auch dann noch so manchen Schmerz bereitet hat. Der Mann heißt Jan Koplowitz. Er kennt Dinge, die kein anderer kennt, aber keiner will mehr davon wissen.
Vor zehn Jahren war er »jungen Poe-,ten« ein Begriff. Mehr noch, er war ein Ratgeber, Aufstörer, ein Unzufriedener, ein Wissender, dem nie genügte, was er wusste. Vom Äußeren her eine Art Heiliger, weißes Haar, weißer Bart, der alle Größen noch kannte und beim Frühstück die wohlgepackte Pillendose zückte. Einer, der bei Kisch in die Lehre gegangen war,
der die DDR mochte, aber aufsässig war, wenn es um Verwirklichung von Idealen ging. Ein Jude, der Kommunist wurde, einer, der sich erinnerte, wenn andere vergaßen, und die saßen oft genug bei den Siegern der Geschichte, damals wie heute. Ich hab' mit ihm telefoniert, er ist bitter, gallebitter, möchte sich am liebsten verkriechen ins Vergessen.
Ich denke, eben das darf nicht sein. Der Mann hat geschrieben, und zwar Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Er ist, neben Elfriede Brüning, der letzte Repräsentant des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Als junger Bursch hat er Agit-Prop gemacht, Texte und Theater, Aufklärung und Auflehnung. Da könnte ein werdender Dichter von heute blass werden, erführe er, wie dieser »Jonny« die Elterngeneration provoziert hat. Das war schlimmer noch als heute PDS wählen. Dieser wohl behütet in bürgerlich-jüdischem Milieu Aufgewachsene predigte mit Gleichgesinnten Revolution, machte Kabarett »Rote Revue«, dann 1933 illegale Grenzarbeit. Verhaftung. Die
SA zerschlug ihm die Finger, deshalb schreibt er bis heute alle Manuskripte mit der Hand, tippen tut zu weh.
Im tschechischen Exil musste er wieder in die Illegalität abtauchen. Wie er vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag entkam, hat er in einer ergreifenden Geschichte »Karfunkel und der Taschendieb« beschrieben. Seine Flucht führte ihn nach England; er war interniert, durfte dann in der Metallindustrie arbeiten, wurde Gewerkschaftsfunktionär. Er heiratete, sein Sohn Danny wurde geboren.
1947 kam Jan Koplowitz zurück nach Deutschland, die Familie blieb in England. Er stürzte sich in das, was man damals Kulturarbeit nannte. In der Maxhütte Unterwellenborn, beim Rundfunk bis hin zur Konzert- und Gastspieldirektion. Er wollte, dass Arbeiter und Kultur miteinander verbunden wären, er sah Kultur als konstituierenden Faktor einer neuen Gesellschaft. Literarisch verarbeitete er seine Erlebnisse und Erfahrungen in einer ganzen Reihe von Reportagen, ja er erfand sogar die »offene Reportage«, die als eingreifender Begleiter die Wirklichkeit spiegelte.
In der Emigration hatte er »Glück auf, Piddl« geschrieben, einen »Jugendroman«, der Anfang der 20er Jahre in der Weimarer Republik spielt. Das ist die Geschichte eines Bergarbeiterjungen, der mit seinen Freunden einen Bund »Rächer der Armen« gründet. Spannend und humorvoll erzählt, gehört dieses Buch auch
heute noch zum Besten deutscher Kinderund Jugendliteratur. In der DDR konnte es erst 1961 erscheinen.
Immer mehr spürte Jan Koplowitz, wie wichtig Geschichte für die Gegenwart ist. Da war zunächst die eigene. Frühe Erzählungen hatten Emigration und Krieg überdauert, »Geschichten aus dem Ölpapier«, ein Fundus von Zeitzeugnissen, wie man sie so authentisch selten wiederfindet. Und dann schrieb er die Geschichte seiner jüdischen Familie, den Roman »Bohemia - Mein Schicksal«. »Bohemia«, das ist ein Hotel im früheren Dreiländereck Deutschland, Tschechoslowakei, Polen und in der Erinnerung ein Sammelpunkt herrlich komischer und auch manch trauriger Geschichten. Sie sind voller Leben, man begegnet einem Wunder-Rabbi, einem Schmied und einer Komtess, jüdischem Witz und »reichsdeutscher« Macht. Das Buch wurde vom DDR-Fernsehen verfilmt, zum Teil im Streit mit dem Autor. Es ist eine Hommage auf eine untergegangene Welt, wie sie nur einer schreiben konnte, der sie von innen erlebt hat.
Koplowitz war aber zugleich immer auf der Spur von Gegenwart, engagierte sich für literarische Talente, war im Lande bei vielerlei Veranstaltungen und Lesungen unterwegs. Mit dabei war stets sein Aktenköfferchen, darin sein Terminkalender. Des öfteren vergaß er, vor allem im Taxi, das lebenswichtige Gepäck. Einmal blieb's auf Dauer verschwunden. Darauf annoncierte er in der damaligen Gewerkschafts-
zeitung, man möge ihm schnellstens all seine Terminzusagen mitteilen, damit er keine seiner Lesungen versäume ...
Jan Koplowitz erkundete den Alltag von Arbeitern und rückte voller Neugier den Leitern auf die Pelle. Wer Großes und Kurioses aus der »ehemaligen« deutschen Republik, erfahren will, kann sich bei Koplowitz sachkundig machen. Der schrieb über die »Sumpfhühner«, wenn man so will, Arbeiterklasse pur, oder über Tete, den »unglückseligen Blaukünstler«, der im Suff die Wagenkolonne des DDR-Regierungschefs zum Halt zwingt.
Das alles war einmal. Nun also hat er seinen Roman »Danny in der Löwengrube« beendet, einen »offenen, dokumentarischen« Roman, in den Briefe und Ereignisse um seinen Sohn Eingang fanden. Einen Teil daraus hat er »Zehn Jahre Bitterkraut« genannt. Fast ebenso lange wird diskutiert und dementiert, ob Jan Koplowitz, der Befreiung und Einreise seines Sohnes in die DDR wegen, mit der Stasi gekungelt hat. Er hat seine eigene Streitschrift unter dem Titel »Bestattungskosten« dazu veröffentlicht. In dieser - und darauf ist er sogar stolz - musste laut Gerichtsbeschluss eine ganze Seite geschwärzt werden.
In Sonntagsreden wird mit Ausdauer verkündet, dass Geschichte nicht teilbar sei, die deutsche schon gar nicht. Jan Koplowitz aber erfährt mit Bitterkeit, dass er zum anderen, vergangenen Teil der Geschichte gehört. Soll er sich damit abfinden, oder?
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