En Röntgenkanone als Phantom
Keine Beweise für gezielte Verstrahlung Gefangener durch das MfS
Von Peter Liebers
Die Geschichte von den verstrahlten MfS-Häftlingen war gut für Schlagzeilen. Als jetzt die Erfurter Staatsanwaltschaft mitteilte, es gebe dafür keine Beweise, fanden sich nur noch verschämte Notizen in den Zeitungen.
Im Mai diesen Jahres hatten Berliner Blätter und. danach ein Nachrichtenmagazin die Geschichte zum Fall gemacht. Anlass war der Krebstod von Jürgen Fuchs und zweier weiterer DDR-Oppositioneller. »Ist die Stasi schuld an ihrem Tod?« und »Der schleichende Strahlenmord in den Gefängnissen der Stasi« titelten die Gazetten. DDR-Oppositionelle seien vom MfS gezielt mit Röntgenstrahlen »behandelt« worden, lautete die mediale Diagnose.
Die Entdeckung einer Röntgenanlage in der Geraer MfS-Haftanstalt, die als »Röntgenkanone« durch die Medien geisterte, bot das corpus delicti. Der »Spiegel« sah darin »eindeutige Belege für Langzeit-Mordanschläge«, auch wenn er kleinlaut zugeben musste, dass es dafür in den Akten keine Beweise gebe. Stattdessen musste eine Forschungsarbeit der Berliner Humboldt Universität mit dem Titel
»Toxdat« herhalten, in der alle möglichen heimtückischen Mordvarianten gespeichert waren. Dass es sich dabei um ein rechnergestütztes Rechercheprogramm handelte, das in komplizierten Mordfällen als Ermittlungshilfe diente und vielen Kriminalisten zugänglich war, spielte keine Rolle.
Selbst das Bundesamt für Strahlenschutz räumte seinerzeit ein, dass die in Gera gefundenen Geräte nicht geeignet seien, Menschen Dauerschäden zuzufügen. Strahlenexperten quittierten die Horror-Meldungen mit Kopfschütteln. Die früheren MfS-Generäle Karli Coburger und Gerhard Niebling sowie Oberst a.D Siegfried Rataiczik hatten in einem Gespräch mit ND nachdrücklich betont, dass die Geräte nur zur Paketkontrolle und zur Untersuchung von Asservaten genutzt wurden. Er verwies außerdem darauf, dass ähnliche Praktiken seit den 70er Jahren auch in Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik üblich waren. Der letzte DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel (CDU) hatte »befugte MfS-Generale« aufgerufen, sich zu Wort zu melden und meinte, die »Ehemaligen« ließen sich zu viel gefallen. Dass die »Enthüllungen« unmittelbar nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verände-
rung der MfS-Renten erfolgten, obwohl die »Röntgenkanone« bereits 1990 von einem Bürgerkomitee entdeckt worden war, macht es schwer, an einen Zufall zu glauben.
Jetzt teilte die Erfurter Staatsanwaltschaft, die in dieser Angelegenheit ermittelt, mit, ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten habe keinen Nachweis dafür gebracht, dass im ehemaligen Stasi-Gefängnis in Gera Häftlinge Röntgenstrahlungen ausgesetzt wurden. Ein Sachverständiger habe Materialproben von Verputz- und Wandmaterial sowie von einem Porzellanwaschbecken genommen und in einer Thermoluminiszenz-Analyse auf ionisierende Strahlungen untersucht. Während sich die Proben von der Wand wegen ihrer Materialbeschaffonheit als ungeeignet erwiesen hätten, sei das etwa 30 Jahre alte Waschbecken zur Prüfung geeignet gewesen. Die umfangreichen Untersuchungen hätten aber »keinerlei Hinweise« auf künstliche Bestrahlung aus einer Röntgenanlage oder einer Gammastrahlenquelle ergeben, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Die Jagd nach dem Phantom ist damit allerdings nicht beendet. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen, verlautete es aus der Behörde, die noch weitere Zeugen vernehmen will.
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