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mmm Letzter »Blue« aus Seelow

Modernisierte Käserei wird stillgelegt, 63 Mitarbeitern gekündigt Von Erich Schech

  • Lesedauer: 4 Min.

Die Käserei Seelow, ein Brandenburger Traditionsbetrieb, stellt im kommenden Sommer endgültig die Produktion ein.

Der Versammlungsraum, nicht grö-ßer als ein Klassenzimmer, liegt im Halbdunkel. Auf einigen Tischen an der Wand wird das Flaggschiff der Käserei Seelow präsentiert: »Blue Master«. Ein Edelschimmelkäse, von dem Kenner schon zu DDR-Zeiten schwärmten. Wo immer der kleine Betrieb - nur ein paar hundert Meter von der Gedenkstätte Seelower Höhen entfernt - für sich warb, war »Blue Master« das Zauberwort. Nur Eingeweihte wußten, dass er längst nicht mehr im Brandenburgischen hergestellt wurde, sondern im Westen Deutschlands. Lediglich für Reifung und Verpackung blieb die Käserei in Seelow zuständig. Dieser langwierige Prozess sorgt nun auch dafür, dass der Betrieb wenigstens erst im Sommer des kommenden Jahres endgültig geschlossen wird.

»Es gab zwei Sanierungskonzepte«, erklärt der vom niederländischen Konzern Bols-Wessanen mit der Abwicklung betraute Geschäftsführer Louis de Boer. »Nach der Übernahme 1992 wurden neue Technologien eingeführt und die Qualität

der Produkte wesentlich verbessert. Trotzdem brach der Markt weg - die Kunden griffen zu den für sie neuen Westprodukten. Nur mit Niedrigstpreisen konnte sich ein Teil der ostdeutschen Lebensmittelbranche behaupten. Auf den dramatischen Absatzrückgang wurde dann mit der Produktion von italienischem und griechischem Weichkäse reagiert, für den es nach unseren Vermarktungsanalysen gute Aussichten gab. Dazu wurden elf Millionen Mark investiert, aber gleichzeitig konnten wir angesichts der starken Produktionskapazitäten in Europa nur durch Niedrigstpreise Akzeptanz am Markt finden.« Exporte nach England, Italien und Finnland seien überdies mit hohem Transportaufwand verbunden gewesen.« Je größer der Ausstoß, umso größer die Verluste. »Vier Millionen auf zwölf Millionen Mark Umsatz«, rechnet de Boer vor. »Eine Mark Verlust pro Kilo.« Überdies blieb Seelow ein Winzling im holländischen Käse-Imperium. »Wir haben in unserem Konzern ein Werk, das mit 55 Mitarbeitern allein 65 000 Tonnen der Sorte Leerdamer im Jahr produziert. Seelow erreicht mit 63 Mitarbeitern und sieben Sorten ganze 2000 Tonnen.«

So klar, wie diese Zahlen sprechen, hat mit den Beschäftigten in Seelow wohl nie jemand geredet. Schon gar nicht darüber, dass die Frauen und Männer ihren eige-

nen Untergang herbeischufteten. Mitunter 18 Stunden hintereinander, mit kurzem Schichtwechsel, rollender Woche und, wenn es sein musste, noch bei 34 Grad im Schatten. Erst jetzt, nachdem sich die Gewerkschaft stark gemacht hat, werden die Überstunden und Zuschläge überhaupt bezahlt. Bis dahin machten die Kollegen im wahrsten Sinne des Wortes den Buckel krumm, wenn sie alle sechs Minuten von Hand den Käse in den 900-Literwannen rühren mussten, 40 Wannen am Tag. Oder wenn die 35 Kilogramm schweren Feta-Formen gewendet wurden. »Es war ein hartes Regime. Wer krank war, traute sich kaum zum Arzt. Wir fühlten uns ständig erpresst. Aber wir dachten ja, es geht bergauf. Stattdessen wurden wir erstmal richtig reingeschubst in die Krise«, erzählt eine Mitarbeiterin. Noch bis zu dem Tag, bevor die Kündigungen übergeben wurden, habe es Neueinstellungen gegeben. »Viele hätten fast geheult, als sie die blauen Briefe kriegten«, erinnert sich Anita Böttcher, die seit 27 Jahren in der Käserei arbeitet. Waltraud Scharin aus Platkow, seit 26 Jahren im Werk, ist vor allem sauer, »dass der alte Chef still und heimlich abgehauen ist«. Auf einen neuen Job macht sie sich keine Hoffnung. Ingo Forchheim, der als Schwerbehinderter jeden Tag mit dem Bus von Neuhardenberg kommt, hofft auf eine Arbeit im christli-

chen Jugenddorf, wo er schon seine Ausbildung absolvierte. Regina Melzer kann sich fürs Erste auf ihren Mann stützen, der als Selbstständiger im Baugeschäft tätig ist. »Aber das läuft auch nicht besonders.« De Boer weiß, was seine Angestellten erwartet. »Aufbauen ist natürlich viel schöner als abwickeln. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch in der Region. Die Aussicht auf neue Beschäftigung gering. Das weiß auch unser Konzern.« Deshalb sei

mit Betriebsrat und Gewerkschaft lange nach einem Sozialplan gesucht worden. »Alle offenen Verbindlichkeiten, die 1999 aufgelaufen sind, wurden beglichen - einschließlich Weihnachtsgeld.« Je nach Alter, Betriebszugehörigkeit und Anzahl der Kinder sei die Abfindung gestaffelt worden. »Viele sind seit mehr als zwei Jahrzehnten im Betrieb. Die haben nicht nur einen Arbeitsplatz hier«, räumt de Boer ein. »Die haben Wurzeln.«

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