Auf der Suche nach den Vätern

Adelbert Reif im Gespräch mit Barbara Bronnen

  • Adelbert Reif
  • Lesedauer: 8 Min.
»Der Findling, der mein Vater ist, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin … Neben ihm Christa Wolf … Gegenüber Günter Gaus … In der Nähe Weggefährten: Bertolt Brecht, Helene Weigel, John Heartfield, Wieland Herzfelde, Johannes R. Becher ...« 

Das schreibt Barbara Bronnen in ihrem Buch »Meine Väter« (Insel Verlag, Berlin 2012). Seit ihrer Kindheit wurde sie von den Geheimnissen um die Herkunft ihres Vaters, des Schriftstellers Arnolt Bronnen, umgetrieben. 
Was hat es mit jenem Vaterschaftsprozess auf sich, den er während der NS-Zeit gegen seinen Vater führte? Warum wehrte er rigoros alle Fragen dazu ab? Und was bedeutet das Schweigen der Familienmitglieder?
»Der Findling, der mein Vater ist, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin … Neben ihm Christa Wolf … Gegenüber Günter Gaus … In der Nähe Weggefährten: Bertolt Brecht, Helene Weigel, John Heartfield, Wieland Herzfelde, Johannes R. Becher ...« Das schreibt Barbara Bronnen in ihrem Buch »Meine Väter« (Insel Verlag, Berlin 2012). Seit ihrer Kindheit wurde sie von den Geheimnissen um die Herkunft ihres Vaters, des Schriftstellers Arnolt Bronnen, umgetrieben. Was hat es mit jenem Vaterschaftsprozess auf sich, den er während der NS-Zeit gegen seinen Vater führte? Warum wehrte er rigoros alle Fragen dazu ab? Und was bedeutet das Schweigen der Familienmitglieder?

nd: Frau Bronnen, die Auseinandersetzung mit Ihrem Vater Arnolt Bronnen zieht sich durch Ihre gesamte schriftstellerische Laufbahn. Bereits in Ihrem Debütroman »Die Tochter« befassten Sie sich 1980 mit Ihrem Vater. Haben Sie Ihr Leben lang unter Ihrem Vater gelitten?
Bronnen: Das würde ich nicht sagen. Ich habe ihn ja auch geliebt. Aber ich habe ihn gesucht. Ich war mit lauter Rätseln konfrontiert, nicht nur mit einer Geschichte der Ideologien des letzten Jahrhunderts, von denen er keine ausgelassen hat, sondern mit einer Art Geschichtsunterricht, den er für mich darstellt. Das andere war seine Arbeit, die mich interessierte. Ich kriegte mit, wie er redigierte, wie er Sätze verwarf, die er am Tag vorher gutgeheißen hatte, und wie er am übernächsten Tag auch die Korrektur verwarf. Das war Werkstattunterricht für mich. Hinzu kam die Berufung meiner Mutter auf seinen Erfolg. Beides hat mich stabiler gemacht dem Schreiben gegenüber. Ich schreibe weiter, egal, ob ich Erfolg habe.

In Ihrem neuen Buch »Meine Väter« wenden Sie sich Ihrem Großvater Ferdinand Bronner zu, um dem Geheimnis um die Herkunft Ihres Vaters auf die Spur zu kommen. Warum ist Ihnen an der Aufklärung dieses Geheimnisses so gelegen? Sie haben Ihren Großvater nur einmal gesehen …
Weil es mich so beschäftigt hat. Die Reaktion meines Vaters, dieses gewaltsame Ablehnen, und das Verschweigen in der Familie haben mich gereizt. Ich wollte herausfinden, was es mit diesem angeblich lebenslangen Hass, der sogar zu einem Vaterschaftsprozess führte, wirklich auf sich hatte. Dieser Prozess hatte unter dem Aspekt der Nazi-Herrschaft natürlich auch politische Gründe. Aber ich begriff lange Zeit nicht, worum es eigentlich ging. In den vergangenen zwölf Jahren nahm ich zwei Mal Anlauf, mich mit der Geschichte meines Großvaters und dessen Beziehung zu meinem Vater zu beschäftigen. Doch ich legte das Manuskript jedes Mal wieder weg. Ich war noch nicht so weit.

Dieser Großvater wurde 1867 zur Zeit der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in Oświęcim geboren. Sie sind hingefahren, um aus der Umgebung, in der er aufwuchs, etwas über seine Person zu erfahren. Außer dem Geburtsnamen Ihres Großvaters aber hat Ihnen diese Reise keine Antworten gebracht, zumal die Nationalsozialisten die Stadt durch die Errichtung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau nahezu völlig zerstört haben …
Aber das war schon etwas, die Bestätigung des richtigen Namens Eliezer Feivel Bronner zu erhalten, seine Frau und Kinder dokumentiert zu finden. Ich verdanke das dem polnischen Begleiter, den ich hatte, einem Dozenten von der Jagiellonen-Universität. Er war beharrlich, und als wir unter den allgemeinen Akten nichts fanden, schlug er vor, unter den Militärakten nachzusehen. Denn das Militär vergesse niemanden. Und da war der Großvater aufgeführt.

Der Besuch in Oświęcim hat mir viel gegeben, auch wenn die Stadt entstellt und ohne Seele ist. Mich in ihre Geschichte zu vertiefen, dieses vergangene Oświęcim zu imaginieren und dem heutigen gegenüberzustellen, war sehr aufschlussreich für mich. Oświęcim war einst eine lebendige Stadt, berühmt für Intellektuelle, Wunderrabbis und jüdischen Witz. Es gab damals den Spruch, der aus heutiger Perspektive perfide ist, in einer großen Stadt zu leben, sei recht, aber sterben müsse der Jude in Oświęcim.

Erschütternd ist der unverhohlene Antisemitismus in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, den Sie in Ihrem Buch schildern. Sehen Sie darin die Ursache für den Wunsch Ihres Großvaters, seine jüdische Herkunft zu verleugnen?
Ja, er war unterprivilegiert, solange er als Jude galt. Der Antisemitismus trieb damals schon seine Blüten, vor allem in Wien. Daher wollte der Großvater voll anerkannt »ein Deutsch« sein, wie man das nannte. Dazu gehörte auch der Übertritt zur protestantischen Religion.

Den Versuch der Lösung von seiner jüdischen Herkunft verarbeitete Ihr Großvater in dem autobiografischen Drama »Familie Wawroch« …
Auch sein nächstes Stück, die Komödie »Schmelz, der Nibelunge«, hat diese missglückte Assimilation zum Thema - sein Lebensthema überhaupt. Er löste den Konflikt jeweils mit einem Vatermord. Damit brachte er ein Thema auf die Bühne, das zu jener Zeit zweifellos up-to-date war. Es war ein Erfolg - fast war es so, dass er mit dem Angreifen der jüdischen Thematik weniger Jude war. Er war nicht der einzige, der diesen Schritt vollzog, statt des mosaischen Glaubens eine christliche Religion anzunehmen. Aber es war vielleicht selten, sich ein Leben lang - auch in seinen Erinnerungen - als »Arier« zu stilisieren.

Während die Stücke Ihres Vaters Arnolt Bronnen gelegentlich in den Spielplänen auftauchen, sind die Stücke, die Ihr Großvater unter dem Pseudonym Franz Adamus veröffentlichte, zur Gänze vergessen. Dabei schrieb er mit »Familie Wawroch«, dem Beginn seiner Trilogie »Jahrhundertwende«, eines der ersten naturalistischen Dramen. Wie kommt das?
Ich habe vom Großvater nie ein Stück auf der Bühne gesehen. Aber er war als Dramatiker nicht ungeschickt. Seine Stücke sind gut gemacht. Der Dialekt mag ein Problem darstellen. Obwohl Gerhart Hauptmann auch im schlesischen Dialekt schrieb und nicht ganz vergessen ist. Nur war er so klug, gleichzeitig eine hochdeutsche Fassung anzubieten. Beim Großvater war es nach dem ersten großen Erfolg ein sehr schnelles Wiederverschwinden. Es kam der Erste Weltkrieg und seine Depression nach dem Tod seines Sohnes Rudolf, den er Österreich geopfert hatte, und es trat sein Nachfolger auf den Plan, sein Sohn Arnolt Bronnen, der mit seinem Stück »Vatermord« einen rasanten Erfolg hatte und ihm vorführte, wie man so etwas anpackt. Damit war mein Großvater weg vom Fenster. Eine andere Generation trat auf.

Über Ihren Vater Arnolt Bronnen urteilte der Literaturwissenschaftler Hans Mayer, er sei kein Faschist, aber auch kein Kommunist gewesen. Gehörten seine ideologischen Wandlungen vom Anarchismus zum Kommunismus und zum Faschismus und wieder zurück und zum Katholizismus zu jenen merkwürdigen intellektuellen Konversionen, die im 20. Jahrhundert nicht selten waren?
Mein Vater war kein politischer Mensch. Aber er wurde mit extremen politischen Situationen konfrontiert. Er suchte etwas und er suchte es immer anderswo. Vielleicht suchte er immer das Gleiche. Gefunden hat er es nie. Das ist das Traurige an seinem Leben. 1954 ging er in seinem Versuch, Kommunist zu sein, in die DDR. Aber letztlich konnte er sich mit dem System nicht identifizieren.

Wäre es für ihn besser gewesen, in Österreich zu bleiben?
In Österreich wurde er missachtet und links liegengelassen. Das hing natürlich mit dem Kampf gegen den jüdischen Vater zusammen, den er nach außen hin jahrelang verbissen geführt hatte, und mit der feindseligen Haltung der Wiener Juden, die an der Wiener Scala, dem KP-Theater, engagiert waren. In der DDR, in die viele Emigranten zurückkehrten, war es ähnlich. Man hat ihm diesen Prozess gegen den Vater nie verziehen. Er veröffentlichte noch ein paar Bände. So verfasste er den sehr guten und überhaupt nicht geschätzten Roman »Aisopos« und er schrieb »Tage mit Bertolt Brecht«. Darin vergegenwärtigte er die zwanziger Jahre und sein und Brechts anarchisches Streben. Es erschien der Band »Begegnungen mit Schauspielern« und seine Biografie »arnolt bronnen gibt zu protokoll« wurde wieder aufgelegt. Auch ein Sammelband seiner Stücke kam heraus. Aber er wollte als Dramatiker aufgeführt werden. Und das ist nicht passiert. Stattdessen beauftragte man ihn, Kritiken für die Berliner Zeitung über Aufführungen im Westen zu schreiben.

Gerhard Zwerenz sagte über Ihren Vater, seine Zeit werde wieder kommen. Glauben Sie das auch?
Ich weiß es nicht. Vieles ist zeitgebunden. Es gab immer mal wieder kleine Anläufe. Der Roman »O.S.« über die Kämpfe der Freischärler in Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg kam wieder heraus. Der Roman »Aisopos« müsste wieder entdeckt werden. Und das Stück »Die Kette Kolin« über die österreichische Widerstandsgruppe gleichen Namens, deren Mitglieder im April 1945 aus dem Konzentrationslager Gneixendorf entkamen, könnte man heute wieder spielen.

»Je älter sie wird, desto dringlicher wird es ihr, Bescheid zu wissen«, schreiben Sie. Hört das Fragen nach der Herkunft nie auf?
Aber jetzt ist es auch beendet. Ich habe die Geschichte des Großvaters geschrieben. Ursprünglich wollte ich nur die Geschichte des Großvaters schreiben. Aber dann hat mich all das Liegengelassene und Angedachte beim Vater, von dem ich meinte, es sei aus dem Weg geschafft, doch so gedrängt, dass ich es wieder aufnahm. Wiederholen und erinnern - im Grunde die gleiche Bewegung, nur in entgegengesetzte Richtung, als Schritt nach vorn. Denn wie kam es, dass aus dem Prozess beide als »Arier« hervorgingen? Indem die beiden Dramatiker, Vater und Sohn, unter Todesgefahr ein abgekartetes Spiel inszeniert haben, ein »Rassespiel«. Hätten Sie es nicht gewagt, wäre mein Großvater dort gelandet, wo er geboren wurde, in Auschwitz. Und ich wäre nie geboren worden.

Barbara Bronnen wurde als Tochter des Schriftstellers Arnolt Bronnen in Berlin geboren und wuchs in Österreich auf. Nach ihrem Studium der Germanistik und ihrer Promotion über Fritz von Herzmanovsky-Orlando wurde sie als freie Schriftstellerin tätig. 1980 erschien ihr Debütroman »Die Tochter«, in dem sie sich der schwierigen Beziehung zu ihrem Vater widmet. 2000 setzte sie in dem Roman »Monokel« die Auseinandersetzung mit ihrem Vater fort. Zu ihren jüngsten Romanveröffentlichungen gehören: »Am Ende ein Anfang« (2006), »Fliegen mit gestutzten Flügeln. Die letzten Jahre der Ricarda Huch 1933-1947« (2007), »Liebe bis in den Tod« (2008) und »Meine Väter« (2012).

Arnolt Bronnen, geboren 1895 in Wien als Arnold Hans Bronner, gestorben 1959 in Berlin (Ost). Schriftsteller, Dramatiker, Regisseur.

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