Demokratie der knappen Alternativen

Kommunalwahlen in den Palästinensischen Autonomiegebieten - abgestimmt wird aber nur im Westjordanland

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
In den Palästinensischen Autonomiegebieten wird heute zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder gewählt. Insgesamt 4969 Kandidaten bewerben sich um Sitze in den Kommunal- und Regionalparlamenten. Die meisten davon gehören der regierenden Fatah an; die Hamas boykottiert die mehrmals verschobene Wahl.

»Fatah, Fatah, Fatah«, knurrt der ältere Mann zornig, als er die Journalisten sieht. »Schauen sie genau hin«, sagt er und deutet auf die Wand vor ihm, zugekleistert mit Plakaten, auf denen blumige Sprüche unter ernst drein blickenden Gesichtern austauschbar von Freiheit, Wohlstand, Fortschritt auch künden.

Zufall? Nein. Die Menschen, die sich auf dieser Wand und so gut wie allen anderen Wänden entlang der Hauptstraßen Ramallahs um einen Sitz im Stadtparlament der palästinensischen Verwaltungshauptstadt bewerben, gehören allesamt der Fatah-Fraktion von Präsident Mahmud Abbas an.

Alternativen gibt es kaum. An vielen Orten steht nur die Liste der Fatah zur Wahl. Dort, wo andere Parteien oder unabhängige Kandidaten antreten, sind diese im Wahlkampf kaum präsent. Ihnen fehlen die Mittel, während die Fatah sich aus dem Wahlkampf-Budget der Autonomiebehörde bedienen kann - das palästinensische Wahlgesetz erlaube dies, wie ein Sprecher des Wahlausschusses erläutert. »So sieht unsere Demokratie heute aus«, sagt der ältere Mann verbittert.

Ein paar Meter weiter sitzen junge Männer, Arbeitslose, bereits am frühen Morgen im Teehaus. So leid es ihm tue, wütet ein Obsthändler laut, aber man könne bei ihm nicht mehr anschreiben, er müsse doch auch von etwas leben. Auf der Straße davor sind weniger Privatwagen als sonst unterwegs - Sprit ist längst etwas für Reiche. Die auch vorsichtig geworden sind: Die wirtschaftliche Lage ist mies. Und Umfragen zufolge sind mehr als 70 Prozent der Palästinenser der Ansicht, dass sie noch mieser wird. Dass die Wahl etwas daran ändert - es ist unmöglich, jemanden zu finden, der das glaubt.

Auch in der palästinensischen Führung nicht. Die Situation sei schwierig und die Menschen sollten keine Wunder erwarten, sagt Außenminister Riad al-Maliki. »Es ist schon ein Erfolg, dass die Wahl überhaupt stattfindet.« In der Tat ist der Ruf an die Urnen an und für sich eine kleine Sensation: Vor sechseinhalb Jahren haben die Palästinenser das letzte Mal gewählt, und zwar das Parlament. Komplette Kommunalwahlen hingegen wurden bereits seit den 90ern nicht mehr abgehalten. Der letzte, in vier Stufen aufgeteilte, Versuch wurde im Dezember 2005 wegen eines Streits zwischen der regierenden Fatah und der konservativ-islamischen Hamas abgebrochen; gewählt worden war nur in Jericho und 24 Dörfern.

Danach wurden im Laufe der Jahre immer wieder Kommunalwahlen angesetzt, aber stets wegen des sich zuspitzenden Konflikts zwischen den beiden Fraktionen abgesagt.

Nun findet die Wahl trotzdem statt, und dies, obwohl sie von der Hamas boykottiert wird - und deshalb im Gaza-Streifen nicht gewählt werden wird. Mehrere Versuche des Wahlausschusses, dort Wähler und Kandidaten zu registrieren, scheiterten, denn die Organisation wirft der Regierung in Ramallah vor, sie habe Hamas-Anhänger benachteiligen wollen. Die Fatah bestreitet dies. Allerdings lösten Sicherheitskräfte an mehreren Orten Kundgebungen von unabhängigen Kandidaten auf, die der Hamas nahestehen.

Ursprünglich hatte sich die Regierung wohl erhofft, dass die Wahlen den Druck von dem zunehmend in der Kritik stehenden Präsidenten Abbas und seinem Premierminister Salam Fajad nehmen werden.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Nun stehen beide auch wegen der hohen Kosten für das Votum in der Kritik - umgerechnet sind es vier Millionen Euro.

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