Kuhhandel unter Aufsicht

Plenum verschiebt Abschaffung der Praxisgebühr

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Bundestag ging es gestern unter anderem über die Rentenbeiträge, die Einkommensgrenzen für Minijobs, ein Steuerabkommen, das umstrittene Betreuungsgeld und die Abschaffung der Praxisgebühr.

Wer eine Entscheidung über die Praxisgebühr erwartet hatte, wurde gestern enttäuscht. Einmal mehr degradierten Teile der Abgeordneten das Parlament zur Quatschbude, in dem sie nicht über das Thema sprachen, sondern vornehmlich über Verfahrensfragen und darüber, wer vor vielen Jahren was gesagt und geschrieben hatte. Schließlich wurde beschlossen, im Gesundheitsausschuss weiter zu beraten, obwohl es dafür keinerlei Veranlassung gibt.

Zur Praxisgebühr ist alles untersucht und alles gesagt. Die Gebühr von zehn Euro, die alle Patienten der gesetzlichen Krankenkassen, nicht aber privat Versicherte einmal im Quartal beim Arzt, Zahnarzt oder Psychotherapeuten zahlen müssen, hat nicht dazu geführt, dass weniger Menschen zum Arzt gehen, sondern lediglich, dass diejenigen auf den Arztbesuch verzichten, die am wenigsten Geld haben und das aber am dringendsten nötig hätten. Darüber hinaus verursacht ihre Einsammlung viele Kosten und verschlingt Zeit in den Arztpraxen. Die Abschaffung stand daher für einige Beobachter schon auf dem Plan, als das ganze fatale Konstrukt 2004 in Kraft trat - u.a. für Sozialverbände und die LINKE, auf die natürlich niemand hörte. Auch gestern nicht, als im Parlament jede der drei Oppositionsparteien ihren eigenen Antrag auf die Abschaffung der Praxisgebühr vorstellte. Über keinen wurde allerdings abgestimmt, weil es den Koalitionsparteien gelang, mit ihren Stimmen eine Überweisung der Anträge in den Gesundheitsausschuss zu lancieren und damit quasi auf Eis zu legen, bis sich CDU, CSU und FDP in ihrem Kuhhandel um Betreuungsgeld und Praxisgebühr einig sind. Der FDP soll mit der von ihr geforderten Abschaffung der Praxisgebühr die Zustimmung zum Betreuungsgeld, das die CSU fordert, abgekauft werden. Aus diesem Zusammenhang macht inzwischen niemand mehr ein Geheimnis. Natürlich hinter den Kulissen und nicht in freier, öffentlicher Debatte. »Wir gehen nicht fremd, wir werden in der Koalition weiter beraten«, lautet die mehr als peinliche Begründung der FDP-Bundestagsabgeordneten Christine Aschenberg-Dugnus für diesen Kotau vor der kränkelnden Koalition und deren Chefin. Für den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach soll hier »Murks gegen Murks« getauscht werden. Das sei der Tiefpunkt schwarz-gelber Regierungspolitik, sagte er. Dieser Kuhhandel stinke zum Himmel, schimpfte Birgitt Bender von den Grünen.

Und so warf man sich dann munter »schräge taktische Spielchen« (Johannes Singhammer von der CSU zu den Oppositionsparteien) vor, ergoss sich in ellenlangen Ausführungen über die Vorgänge im Gesundheitsausschuss (Heinz Lanfermann, FDP) und in blumigen Beschreibungen der Erfordernisse für eine stabile gesetzliche Krankenversicherung (Jens Spahn von der CDU), bloß um nicht sagen zu müssen, was man wirklich von der Praxisgebühr hält. Die war 2003 auf Druck der Koalitionsparteien, genau gesagt der Seehoferschen CSU, eingeführt worden und keineswegs von der sozialdemokratischen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, der man die Sache heute gern in die Schuhe schiebt.

Inzwischen befürworten lediglich noch Teile der CSU und der CDU diese Gebühr, flankiert von einigen Krankenkassen. Die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten lehnt sie ab, will sie aber im gleichen Atemzug weiter erhalten, so das Fazit einer grotesken Debatte vor einem halbleeren Plenum. Man fragt sich mit Dietmar Bartsch von der LINKEN im Bundestag: »Wie wollen Sie das den Menschen erklären?«

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