Am Tresen von Hans Albers

Fast wäre die Hamburger Kultbar »Silbersack« abgerissen worden - die Gäste haben sie gerettet

  • Folke Havekost und Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 4 Min.
63 Jahre lang führte Erna Thomsen die Hamburger Kultbar »Silbersack«. Im Mai starb sie, und für kurze Zeit sah es so aus, als ob der Weg für einen lukrativen Neubau im Amüsierviertel St Pauli frei war. Doch Stammgäste und Sympathisanten griffen ein.

Vor der Tür des »Silbersack« klingen schwäbische Stimmen. Scott McKenzie gibt gerade »San Francisco« zum Besten. Die »Paula« getaufte Jukebox spielt inzwischen CDs ab, aber die Lieder sind seit Jahren dieselben geblieben: Musik, vor der schon die Eltern gewarnt haben. Ein Stück Verlässlichkeit. Howard Carpendale übernimmt: »Deine Spuren im Sand«.

»Der Laden hätte beinahe zugemacht, das wär' schon schlimm gewesen«, erzählt ein junge Frau: »Hier kannst du wie Hans Albers trinken.« Einer der Begleiter hat verstanden: »Eine Kultbar sozusagen.«

Ja, eine Kultbar, und das liegt an Erna Thomsen. Im Jahre 1949 machte sie mit ihrem Mann Fritz den »Silbersack« auf, bald schon tranken hier sowohl Stars als auch St. Paulianer. Hans Albers, Hildegard Knef, Freddy Quinn und Heinz Rühmann, der auch als Kneipengast ein Gentleman gewesen sein soll. Jahre vergingen, Jahrzehnte. Erna Thomsen stand immer noch hinterm »Silbersack«-Tresen - bis am 9. Mai 2012 ihr Herz zu schlagen aufhörte.

Mit dem Tod der 88-Jährigen erlosch auch die Schanklizenz. Der Weg war frei für einen lukrativen Neubau, etwa begehrte Eigentumswohnungen mitten im Amüsierviertel, das seit Jahren den Gentrifizierungsdruck spürt. »Als Erna gestorben war und es hieß, dass der ›Silbersack‹ geschlossen werden soll, ging's gleich los«, erzählt Bärbel Jacobs. Über Facebook mobilisierten Stammgäste über 1000 Sympathisanten. Die Eifrigsten versammelten sich vor dem Laden und tranken ihr Bier demonstrativ vor verschlossener Tür.

Neben Bärbel Jacobs sitzt Uwe Fohl, ein Paar in den besten Jahren. Seit sieben Jahren sind die beiden Harburger Stammgäste, im ›Silbersack‹ haben sie sich kennengelernt. »Hier gibt's keinen Stress, hier kann man als Frau auch alleine hingehen«, sagt Jacobs. Der Frauenanteil ist hoch, die Generationen sind gemischt, das Mobiliar ist rustikal - eine erfolgreiche, kaum planbare, über Jahrzehnte gewachsene Mischung.

»Leute aller Schichten sind hier, es geht nur um Spaß, nicht um Ärger«, ergänzt Uwe Fohl. Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift »St. Pauli ohne Silbersack ist wie Hamburg ohne Michel«.

Eine 18-köpfige Käufergruppe übernahm die »Silbersack«-Immobilie und stattete den neuen Betreiber Dominik Großefeld (27) mit einem zehnjährigen Pachtvertrag aus. Tradition statt Spekulation. »Ich hatte keinerlei Hoffnung, dass es weitergeht, und mich schon anderweitig umgehört«, sagt der Sohn einer Gastronomenfamilie, der seit 2009 als Angestellter hinter dem »Silbersack«-Tresen stand. Die Crew besteht aus fünf Leuten - das alte, über Jahre gewachsene Team. Der »Silbersack« füllt sich sowohl mit Stammgästen als auch mit Ein-Getränk-Besuchern, die die Kaschemme als Etappe auf ihrer Tour de Kiez begreifen. Die Knolle Astra oder Holsten wandert für 1,90 Euro über den Tresen, das raffinierteste Getränk im Angebot ist der Glühwein im Winter. Türsteher, die mit verschränkten Armen die Durchmischung des Ladens verhindern, hat es nie gegeben. »Im ›Silbersack‹ kommen die verschiedensten Menschen zusammen, das ist einmalig«, sagt Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD).

Als Henry Valentino »Im Wagen vor mir« röhrt, summen und tänzeln die ersten Gäste mit. Udo Jürgens' »Griechischer Wein« bringt dann verlässlich einen vielstimmigen Gästechor zum Einsatz. »Erna war eine sehr starke Frau«, erzählt Großefeld, »ich hätte gedacht, dass sie über einhundert Jahre alt wird.« Ihr Erbe will er pflegen, auch ihren Blick fürs Detail: Wie sie, als alles schon hergerichtet schien, vom Tresen aus mokierte, dass die Blume in der kleinen Vase auf dem hinteren Tisch in fünf Metern Entfernung nicht genug Wasser habe. »Betriebsblindheit darf sich nicht einspielen«, sagt der neue Pächter, und: »Alles soll urig aussehen, muss aber sauber sein dabei.«

In der Sitzecke vor dem Tresen, nahe einem Hans-Albers-Plakat, hat sich inzwischen eine Vierergruppe niedergelassen. Unter ihnen der junge Südafrikaner Hannes, der über den Kiez geführt wird. Der »Silbersack« gehört zum Programm. »Mir gefällt der Stil«, sagt der blonde Hannes, »hier ist es nicht so wie in einem der modernisierten Clubs.«

»Sie hätten das Gebäude lieber abreißen sollen, als dass hier eine Cocktailbar reinkommt«, sagt Großefeld. Und er lässt keinen Zweifel daran, dass das auch so bleiben soll. »Ich kenne das St. Pauli von 1950 nicht«, sagt der Pächter: »Aber als gebürtiger Dortmunder habe ich Strukturwandel erlebt. Und das ist nicht immer schön.«

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