Systemfrage als Überlebens-Doktrin

Ökonomentagung in Kiel diskutiert Möglichkeit »Grünen Wachstums«

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 2 Min.
»Grünes Wachstum« stand vergangene Woche im Mittelpunkt einer Konferenz des »Forums Junge Wissenschaft« der Hamburger Akademie der Wissenschaften am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW).

Da staunten viele der Jung-Ökonomen nicht schlecht, als bei ihrer zweitägigen Konferenz in Kiel der renommierte Klimaforscher Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung die Systemfrage zum Schlüssel für die Rettung unseres Planeten erklärte. Der Kieler Klimaforscher war nicht der einzige Mahner. Auch für Ulrich Hoffmann von der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf kann es kein wirtschaftspolitisches »Weiter so« geben. Wenn das viel strapazierte Wort »alternativlos« einmal sinnvoll angewandt werden soll, dann träfe es nach Hoffmanns Auffassung für das zugegebenermaßen ehrgeizige Ziel zu, die Erderwärmung bis 2050 nicht über zwei Grad steigen zu lassen. Als Realist sehe er die Chance dafür aber eher skeptisch.

Wirtschaftliche Entwicklung sei kein statischer Zustand. Es sei wie beim Fahrradfahren: Hören wir auf zu treten, kippen wir um - so das einfache Bild Hoffmanns. Stabilität und Balance müssten nicht automatisch Nullwachstum bedeuten, glaubt er. Intelligenteres Haushalten, ein Umsteuern angesichts begrenzter Rohstoffreserven sei jedoch zwingend. Damit liegt er auf einer Linie mit IfW-Präsident Dennis Snower der sich für ein ressourcenschonendes Wachs᠆tumsmodell ausspricht. Gernot Klepper, Leiter des Forschungsbereiches Umwelt und natürliche Ressourcen am IfW, bringt die nicht ganz neue Sicht auf den Punkt: »Wir brauchen nicht mehr, sondern anderes Wachstum.« Hoffmann verwies in diesem Zusammenhang auf Thesen des britischen Ökonomen Tim Jackson, der Wohlstand ohne Wachstum propagiert.

Hoffmann prophezeit der Großmacht USA bei einem »Weiter-so-Wirtschaften« künftig noch mehr und noch intensivere Hurrikans als den verheerenden Wirbelsturm »Sandy«. »Wenn da nicht ein massives Umdenken in Richtung einer verträglichen und weniger ausbeuterischen Umweltpolitik stattfindet, dann werden steigende Wasserspiegel und Fluten das Land ins Mittelalter zurückwerfen.«

Latif, der die Weltwirtschaft in einer Umwälzung vergleichbar der industriellen Revolution sieht, erinnerte daran, dass die nationale Sicht den Blick vernebelt. So gebe es keinen Grund, angesichts verringerter Treibhausgasemissionen in Deutschland mit dem Finger auf China zu zeigen. Schließlich seien die dort energieintensiv hergestellten Artikel für Kunden hierzulande bestimmt. Die Wirtschaftswissenschaftler musste er da nicht großartig aufklären - die wissen, dass zum Handel nun mal ein Anbieter und ein Abnehmer gehören.

Konsens auf der Tagung war: Die Glaubwürdigkeit von »grünem Wachstum« wird sich nur an Taten messen lassen; ansonsten droht die ganze Theorie zur bloßen »grünen Augenwischerei« zu werden.

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