Überleben in der Katastrophe

Eurokrise, Zeitungskrise, Laternenkrise

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Journalist und Blogger Christian Jakubetz schrieb dieser Tage über das mögliche Ende der »Frankfurter Rundschau« (FR). Sein Eintrag endet mit Sätzen, die über das Einzelschicksal der FR hinaus gemeint waren: »Mach's gut, Tageszeitung, Ende und aus.« Kakophonie in Zeiten der Krise, Misstöne, die doch ihre Berechtigung haben. Am Wochenende wurde kolportiert, dass der Hamburger Verlag Gruner + Jahr einen Großteil seiner Wirtschaftsblätter einstellen will. Trennen wird man sich voraussichtlich von den Titeln »Financial Times Deutschland« (FTD), »Impulse« und »Börse Online«. Nur das Managermagazin »Capital« soll weitergeführt werden. Von den 350 Mitarbeitern in der Poolredaktion der drei Formate sollen 330 entlassen werden. Profane Akte des unabänderlich Erscheinenden. Warum sollte die Finanzkrise, die zu einer Wirtschaftskrise im Süden Europas wurde und nun düster gen Norden zieht, vor der Medienwelt halt machen? Eine Ahnung beschleicht uns davon, dass Weltbewegendes außerhalb unseres Kontrollvermögens geschieht. Das verunsichert.

Wo aber soviel Unsicherheit sich schwer über das bürgerliche Gemüt legt, ist es umso notwendiger, im übersichtlichen Nahbereich den Überblick zu behalten. Abseits des hauptstädtischen Berlin, ja, vom Politischen unbemerkt, beschäftigt derzeit die Laternenkrise die Öffentlichkeit. Berlins Gaslaternen sollen auf Beschluss des Senats verschwinden, ihr Licht soll durch das von elektrischen Leuchten ersetzt werden. Zwar versprechen die Laternenstürmer, dass den Bürgern der Unterschied zwischen den Gaslaternen und ihren modernen Nachfolgern nicht auffallen werde, doch dieser Versicherung wird von vielen kaum Glauben geschenkt. Es ist dies mehr als ein romantischer Reflex mancher Bürger, der im Verschwinden des warmen Gaslichts das grelle Aufstrahlen der kalten Moderne fürchtet. Es ist vielmehr auch die instinktive Ahnung, dass die Vernunft scheitern könnte in einer Welt, die - vor mehr als 200 Jahren in Europa aus dem durch religiöse Gebote und Verbote Bestimmten in die Aufklärung entlassen - derart an Komplexität zugenommen hat, dass ihre Ausformungen wie Naturkatastrophen erscheinen müssen. Das Alte, das Vertraute bietet Verlässlichkeit. Was früher funktioniert hat, wird auch in Zukunft funktionieren. So einfach ist das.

Der allmähliche Übergang vom Alten ins Neue erscheint so als die wahre Innovation. Den Apologeten der radikalen Erneuerung wird misstraut. Oder, um es am Beispiel des Berliner Gaslaternenstreits deutlich zu machen: Wer nicht in der Lage ist, einen Flughafen so zu planen und zu bauen, das dieser auch im Regelbetrieb funktioniert, dem traut man auch nicht zu, von heute auf morgen 44 000 Gaslaternen fehlerlos gegen LED-Leuchten auszutauschen. Keine Angst des Menschen ist mächtiger als die vor der Dunkelheit. »Wir haben«, schrieb der Physiker und Philosoph Marco Wehr am vergangenen Wochenende in der FAZ, »heute nicht mehr das Lebensgefühl des von der Sonne der Vernunft beschienenen Aufklärers, sondern das des verwirrten Steinzeitmenschen, der den rätselhaften Geschehnissen der ihn umgebenden Welt keinen rechten Sinn abtrotzen kann.« Was unseren Urahnen die unerklärliche Natur war - der Vulkanausbruch, die Dürre, das Unwetter - sei uns heute »der Nebel eines Informationsuniversums, das wir leichtfertig selbst erschaffen«. Niemand sei mehr in der Lage, »aufgrund von Erfahrungen verlässliche Prognosen für die Zukunft abzugeben«. Überall dort, »wo Computer, Software und Eingabedaten eine kritische Komplexität überschreiten, sind Pannen möglich«. Die Schöpfer der Aufklärung werden durch ihre Kinder selbst in den archaischen Urzustand der unkontrollierbaren Angst zurückgeworfen.

Jeder, der mit einem handelsüblichen Computer und gewöhnlicher Software arbeitet, kennt das: Systemabstürze, Ausnahmefehler ereignen sich scheinbar aus dem Nichts. Was im Kleinen die Stimmung vermiest, ist im Großen eine Katastrophe. Anfang Mai 2010 brachen an der New Yorker Wall-Street die Aktienkurse ein, der Leitindex Dow Jones verlor innerhalb weniger Minuten mehr als fünf Prozent, kurzzeitig stürzte er sogar noch weiter ab. Unter den Börsianern brach Panik aus. Keine menschliche Spekulation stand hinter dem Kurssturz, die Ursache lag im computerbetriebenen automatischen Wertpapierhandel. Hochleistungs-PCs kaufen und verkaufen mikrosekundenschnell Aktien, ein kleiner Fehler im System potenzierte sich in ebenso schneller Zeit zum großen Crash, und weil die Computer der Börsenorte der Welt miteinander vernetzt sind, raste der Fehler in wenigen Minuten um den Globus.

Das Problem wurde im Frühjahr 2010 schnell erkannt und es waren Menschen, die das Problem wieder behoben, doch sie sagten auch, dass es immer wieder auftreten könne. Noch sitzt der Mensch auf dem Götterthron, soweit geht die Maschinenherrschaft nicht, noch nicht. Doch in der »Terminator«-Filmreihe erhalten wir eine Vorahnung dessen, was sein kann. Die Reihe beginnt mit einer düsteren Vision: Maschinen haben in der Zukunft die Herrschaft über die Welt übernommen und einen Krieg gegen ihre menschlichen Schöpfer begonnen, die sie im radikalsten Akt der Emanzipation der Objekte, die sich zu den Subjekten ihrer eigenen Geschicke machen, vernichten wollen. Die Menschen aber stehen kurz vor einem entscheidenden Sieg über die zentrale Maschineninstanz »Skynet«, die bereits für die Auslösung des Dritten Weltkriegs verantwortlich war. Daraufhin schickt das Computerhirn einen Roboter in die Vergangenheit, um die Geburt des Anführers der menschlichen Rebellen zu verhindern. Über die Fortsetzung des ersten Films der Reihe hinweg werden die Zuschauer im Kino in der Hoffnung belassen, durch Veränderungen in der Vergangenheit »Skynet« besiegen zu können. Erst am Ende des dritten Teils wird klar, dass sich die Katastrophe nicht aufhalten lässt.

Das eigentliche Ziel ist nicht das Verhindern der Katastrophe, sondern das Überleben in ihr.

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