Kein Trostpflästerchen mehr für die erste Klasse

»Financial Times Deutschland« vor dem Aus

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Verlag Gruner+Jahr will sich von einem Großteil seiner Wirtschaftsmedien trennen. Die Magazine »Impulse« und »Börse Online« sollen verkauft, die Tageszeitung »Financial Times Deutschland« eingestellt werden. Nur das Managermagazin »Capital« will man weiterführen. Eine offizielle Bestätigung seitens des Verlags gab es am Mittwoch aber nicht.

Die Nachrichtenagentur AFP wartete dieser Tage mit einer interessanten Beschreibung der »Financial Times Deutschland« (FTD) auf. Mit Verweis auf Medienberichte hieß es, »das Aus für die renommierte Wirtschaftszeitung« sei beschlossene Sache. Renommee - das klingt nach Tradition, nach langer Geschichte. Eine solche hat das defizitäre Wirtschaftsblatt aber nicht. Renommiert und geschichtsträchtig ist lediglich der Zeitungstitel »Financial Times«, den man sich bei der Gründung vor fast 13 Jahren vom britischen Vorbild »Financial Times« (Gründungsjahr 1888) entlehnte. Die FTD war ein Kunstprodukt, geschrieben für die, die in Wirtschaftskreisen ideologisch verbrämt »Entscheider« genannt werden.

Von Anfang an war die wirtschaftsliberale Zeitung ein Verlustgeschäft, die Rede ist von 250 Millionen Euro, die sich seit dem Jahr 2000 angehäuft haben sollen. Das kann nicht ohne Auswirkung auf die anderen Wirtschaftssparten des Verlags bleiben. Von den 350 Arbeitsplätzen in der Poolredaktion im Bereich Wirtschaftsmedien von Gruner+Jahr sollen nach einem Bericht der FAZ von Anfang der Woche bis zu 330 verloren gehen. Die verbliebenen Redakteure sollen sich dann von Berlin aus hauptsächlich um das Magazin »Capital« kümmern.

Die »Frankfurter Rundschau« (FR) spekulierte in ihrer Ausgabe vom Dienstag indes, dass neben kaufmännischen Aspekten noch andere Gründe das Ende der FTD beschleunigen. Die beiden noch lebenden Kinder des Verlagsgründers John Jahr senior hätten Anfang November den größten Teil des Firmenvermögens auf die dritte Jahr-Generation übertragen. Diese habe allerdings, so die FR, kaum noch einen verlegerischen Anspruch, sei mehr am »Gewinn der Familieninvestitionen (Casinos und Immobilien) interessiert«.

Die Fallhöhe ist bei der FTD besonders groß. Mit dem Anspruch, eine meinungsstarke, politikbeeinflussende Tageszeitung auf dem deutschen Printmedienmarkt zu etablieren, war man im Februar 2000 als Gemeinschaftsprojekt der britischen Pearson Publishing Group (»Financial Times«) und Gruner+Jahr an den Start gegangen. In kurzer Zeit startete die FTD von Null auf Hundert durch, immer die politische und wirtschaftliche Elite fest im Blick. Ab dem 1. Februar 2003 gab es in den ICE-Zügen der Deutschen Bahn für Passagiere der ersten Klasse die FTD im Kompaktformat - kostenlos. Dies war vielleicht auch ein Trostpflästerchen für den Leserkreis, dass es 2002 trotz einer Wahlempfehlung der FTD pro Union nicht zu einem Regierungswechsel in Berlin gereicht hatte.

Die Wahlempfehlung der Redaktion vor zehn Jahren war ein Novum in der bundesrepublikanischen Geschichte. In der Folgezeit wiederholte die FTD das Spiel bei jeder Wahl: 2005 für die FDP, bei der Europawahl 2009 für die Grünen, bei der Bundestagswahl im gleichen Jahr wieder für die Union.

An der Auflagenentwicklung übrigens kann es nicht gelegen haben, dass das Blatt in der Verlustzone blieb. Die Zahl der verkauften Exemplare blieb in all den Jahren relativ konstant, sie lag im dritten Quartal dieses Jahres bei rund 102 000. Das Ende wurde wohl eher schon 2008 eingeläutet, als sich die Briten aus der »Tochter«-Zeitung FTD zurückzogen und Gruner+Jahr fortan allein die Geschicke der Zeitung bestimmte. Am Mittwochnachmittag kam der Aufsichtsrat des Verlages zu einer Sitzung zusammen. Den Meldungen, wonach man das Ende der Wirtschaftsmedien des Verlags verkünden werde, wurde vorab halbherzig widersprochen: Eine Entscheidung werde am Mittwoch nicht mitgeteilt, hieß es.

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