Sonnengarten und Solarpaneele

In Erfurt zeigt sich die thematische Vielfalt der Transition-Town-Initiativen

  • Anke Engelmann, Erfurt
  • Lesedauer: 6 Min.
Graffiti am Interkulturellen Gemeinschaftsgarten »Paradies« in Erfurt. Links das Tansition-Town-Logo.
Graffiti am Interkulturellen Gemeinschaftsgarten »Paradies« in Erfurt. Links das Tansition-Town-Logo.

Ein interkultureller Gemeinschaftsgarten, eine solidarische Versorgungsgemeinschaft, eine Energiegenossenschaft und ein Wohnprojekt gehören derzeit zur »Transition Town Erfurt«. Hier finden sich Menschen, die die Welt verändern wollen und dabei pragmatisch und regional vorgehen. Und die bereit sind, Geld und Arbeit und Zeit zu investieren - je nachdem, was jeder gerade geben kann.

Anett Kulka hat gerade ihren Wochenanteil von der Versorgungsgemeinschaft geholt: Porree, Sellerie, Pastinaken, rote Beete, Petersilie und unglaublich dicke Möhren. Für einen monatlichen Festbetrag gibt es frisches Gemüse und Obst das ganze Jahr über, biologisch-dynamisch angebaut, ohne Pestizide und Kunstdünger. Das Geld geht direkt an den Erzeuger »Diestels Sonnengarten«, der davon die Produktionskosten und die Lebenshaltung der Betreiber bestreitet. Der solidarische Gedanke hat Anett Kulka angesteckt, ebenso wie der Enthusiasmus der beiden Gärtner, die mit ihrem Sonnengarten »einfach losgelegt haben«.

Ingesamt 27 Leute gehören zur Versorgungsgemeinschaft. Die einen schätzen - wie Juliane Heinz - die Vielfalt und die Qualität des Angebotes. Anderen - wie Anika Meyen - ist die Herkunft der Lebensmittel wichtig. Doch es geht nicht nur um Lebensmittel. Man lernt sich kennen, trifft sich an der Ausgabe und auf Ernte- und Pflanzfesten, erzählt Anett Kulka. »Wir sind ja nur ein paar Verrückte«, sagt sie und lacht. Anett Kulka organisiert auch die Abholung der Lebensmittel und betreut die Transition-Town-Homepage. Ehrenamtlich. Ehrenamtlich steht heute auch Corinna Weiß an den Kisten und gibt das Gemüse aus.

Konsum und Zerstörung hängen zusammen

Solidarische Landwirtschaft - die Idee hat Sebastian Haußen in Berlin kennengelernt und nach Thüringen gebracht. »Der Zusammenhang zwischen der Zerstörung unserer Umwelt und unserem eigenen Konsumverhalten ist vielen nicht bewusst«, sagt er. In Ellichleben, einem kleinen Ort unweit von Arnstadt, betreibt der Landwirt mit einem Freund den Hof »Diestels Sonnengarten«. »Wir haben zunächst auf gut Glück angebaut«, berichtet er. Dann habe er Partner gesucht und in Erfurt, Weimar und Rudolstadt gefunden. Reich wird Haußen davon nicht. »Es dauert eine Weile, bis sich alles einpendelt.« Und ein richtiges Winterquartier haben die beiden Sonnengärtner auch noch nicht.

Reich werden will auch Genossenschaftsgründer Dietmar Brückmann nicht. Doch »Veränderungen gehen nur mit Geld«, meint der 59-Jährige. »Wir wollten mehr Solar aufs Dach.« Brückmann lernte Christian Prechtl kennen, ebenfalls engagierter Klimaschützer und Klimakoordinator bei der Erfurter Stadtverwaltung. Mit 22 Mitstreitern gründeten die beiden im Oktober 2011 die Erste Erfurter Energiegenossenschaft (e3g). Heute gehören ihr 68 Mitglieder an. Brückmann und Prechtl sitzen im Vorstand.

Einen Anteil mit mindestens 500 Euro muss jedes Mitglied einbringen, maximal zehn Anteile pro Person sind möglich. Die e3g bestückt mit diesem Eigenkapital sowie mit Bankkrediten und Zuschüssen Dächer mit Fotovoltaik-Anlagen. Die Rendite, also der Gewinn für die Mitglieder, ergibt sich aus der Einspeisevergütung, mit der die Bundesregierung die Energiegewinnung aus Wind, Sonne, Biomasse oder Erdwärme fördert. Obwohl die Einspeisevergütung inzwischen schrittweise reduziert wird, bleibt am Ende genug übrig. Genossenschaften als demokratische Unternehmensformen »machen Hoffnung auf Zukunft«, sagt Brückmann. Und sie sind für die Mitglieder eine relativ sichere Geldanlage. Genossenschaften würden streng geprüft und seien verpflichtet, mindestens zehn Prozent Rücklagen zu bilden. Die Satzung der e3g schließt zudem eine Nachschusspflicht, also die Haftung der Mitglieder, aus.

Garten- und Friedhofsamt, drei Schulen, eine Berufsschule: Die Solarpanelle der e3g bedecken derzeit 2025 Quadratmeter auf öffentlichen Gebäuden und haben eine Nennleistung von insgesamt 300,5 Kilowatt. Die e3g will jedoch auch Wohnhäusern aufs Dach steigen. Die Bewohner sollen dann Genossenschaftsmitglieder und an den Gewinnen beteiligt werden. Brückmann verspricht sich davon einen Bewusstseinswandel: »Wenn die Leute wissen, dass sie ein Drittel weniger bezahlen, wenn sie mittags ihre Wäsche mit Solarstrom waschen, beschäftigen sie sich stärker mit der Problematik.«

»Geld ist genug da. Wichtig sind die Visionen«, sagt Kristiane Schley. Die 52-jährige Landschaftsarchitektin ist Mitinitiatorin des »Interkulturellen Gemeinschaftsgartens Paradies« und mischt bei Versorgungsgemeinschaft und Energiegenossenschaft mit. Man müsse sich bewusst machen, worum es geht, sich Ziele setzen und die Menschen mitnehmen. Denn an Klimakollaps, Wirtschafts- und Eurokrise hätten »durchaus alle Anteil«. Transition Town - das sind kleine Schritte, um Veränderungen einzuleiten. Ein paar Verrückte? Vielleicht. Doch Kristiane Schley ist sicher: Die TT-Projekte haben Folgen für lokale Märkte und Kreisläufe.

Und sie wachsen in Erfurt. Drei Beispiele: In der Metallstraße der »Interkulturelle Gemeinschaftsgarten Paradies«, ein Urban-Gardening-Projekt. Obst und Gemüse wollen die Initiatoren anbauen, ohne lange Wertschöpfungsketten, gemeinsam arbeiten, gemeinsam ernten. In der Lassallestraße ein Wohnprojekt von acht Erfurtern, die sich hier ein Gründerzeithaus ausbauen und den Kauf mit Bankkrediten und Darlehen von Privatleuten, Freunden und Verwandten finanziert haben. Bald werden die Ersten einziehen, heißt es auf der Homepage des Vereins. Und schließlich in der Innenstadt demnächst ein Gemeinwohl-Zentrum mit Bioladen, einem Bistro mit vegetarischer/veganer Vollwertkost, offenen Werkstätten, Schulungsräumen, vielleicht einem Laden für Biokosmetik. »Wir haben uns gerade Räume angesehen«, berichtet Initiatorin Birgit Lense.

Umwelt schützen und solidarisch leben

»Für alle solche Sachen bietet Transition Town eine ideelle Klammer«, sagt Brückmann. Die Projekte sind verzahnt, man kennt und unterstützt sich oder lernt sich auf Vernetzungstreffen kennen. Das Letzte fand im November im Haus Dacheröden statt, die Stadt hatte den Tagungsort zur Verfügung gestellt. 60 bis 80 Teilnehmer und Interessierte waren gekommen, schätzt Kristiane Schley. Menschen, die in ihrem unmittelbaren Umfeld einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, solidarisch miteinander leben und achtsam mit der Umwelt umgehen wollen.

Der Erfurter Stadtverwaltung scheint die TT-Bewegung gerade recht zu kommen. Schließlich hat der Stadtrat im Februar 2012 Klimaschutz-Ziele beschlossen und ein Handlungskonzept aufgestellt. Bis 2020 will die Stadt gegenüber 2008 mindestens 30 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen reduzieren, bis 2050 mindestens 80 Prozent. 2020 sollen zehn Prozent des Strombedarfs mit Fotovoltaik erzeugt werden, das sind etwa 90 Gigawattstunden pro Jahr. Damit sei bis 2020 die Fotovoltaik der für das Klimaschutzkonzept wichtigste Anteil bei der Energieerzeugung, heißt es in dem Papier. Klimaschutz soll »in allen Bereichen der Landeshauptstadt« als »gemeinsames dauerhaftes Ziel« verfolgt und möglichst viele Bürger einbezogen werden.

Die Stadt vermittelt Kontakte, stellt Räume zur Verfügung, stößt mit Veranstaltungen Themen an, will beraten und sensibilisieren. Josef Ahlke vom Stadtentwicklungsamt sieht viele Berührungspunkte zu Transition Town. Die Bewegung sei eine weitere Facette nachhaltiger Stadtentwicklung, meint er - allerdings mit dem Vorteil, dass keine Bürokratie, kein Verwaltungsapparat das Engagement der Bürger bremst. »Wir hoffen auf weitere Themen«, sagt Ahlke, »zum Beispiel Verkehr«.


Die thüringische Landeshauptstadt gehört zu den »Transition Towns«. Nachfolgende Initiativen beteiligen sich an der Idee nachhaltigen Lebens und Wirtschaftens.

Erfurter Energiegenossenschaft:
www.erfurter-energie.de

Selbstverwaltetes Hausprojekt:
www.wohnopolis.de

Gemeinschaftsgarten Paradies:

www.o-d-o.de

Versorgungsgemeinschaft und Kleingärtnerei:
www.diestels-sonnengarten.de

Solarpaneele der Ersten Erfurter Energiegenossenschaft (e3g) auf dem Dach des städtischen Garten- und Friedhofsamts. Die Genossenschaft wird unterstützt von der Stadtverwaltung, die sich vor vier Jahren zum Ziel gesetzt hat, die Kohlendioxid-Emissionen bis 2020 um mindestens 30 Prozent zu reduzieren und 10 Prozent des Stromes mit Fotovoltaik zu erzeugen.
Solarpaneele der Ersten Erfurter Energiegenossenschaft (e3g) auf dem Dach des städtischen Garten- und Friedhofsamts. Die Genossenschaft wird unterstützt von der Stadtverwaltung, die sich vor vier Jahren zum Ziel gesetzt hat, die Kohlendioxid-Emissionen bis 2020 um mindestens 30 Prozent zu reduzieren und 10 Prozent des Stromes mit Fotovoltaik zu erzeugen.
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