Wie ein Vogel

Der Komponist Rodion Schtschedrin wird 80

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

An solch einem Tag sei über die Glanztaten gesprochen. Rodion Schtschedrin ist Komponist und Pianist. In beiden Metiers hat er sich international hervorgetan. Er schuf Filmmusiken genauso wie Stücke für Oper (anfangs »Nicht nur Liebe«, zuletzt »Der verzauberte Pilger«), Ballett (»Anna Karenina«, »Die toten Seelen« und vier weitere), Diverses für den Konzertsaal (Sinfonien, Solokonzerte, Orchesterstücke, Kammermusik), eine Choroper (»Boyarina Morozova« mit religiösem Thema), großdimensionierte vokal-instrumentale Werke, darunter das 1967 geschaffene »Poetorium« für einen Dichter, begleitet von Frauenstimme, Chor und Orchester auf Gedichte Andrej Wosnessenskis. Eins der wohl eingreifendsten Werke Schtschedrins.

Seine »Carmen-Suite«, Ballett in einem Akt, 1967 für Streicher und vier Schlagzeuggruppen komponiert, ist weltweit ein Renner geworden. Sie adaptiert die Bizetsche Vorlage nicht nur, sie überflügelt sie. Die Instrumentation funkelt. Die Torrero-Piecen erschallen in russischer Kolorierung, das Carmeneske in spanisch-slawischer Glut. Ein Feuerwerk die Aufnahme mit dem Staatlichen Ukrainischen Sinfonieorchester unter Thedore Kuchar. Es gibt Dutzende weitere.

Schtschedrin hatte beste Lehrer. Der Komponist Juri Schaporin gehört zu ihnen, berühmt seit den dreißiger Jahren in der UdSSR und Partner des poetischen Dokumentarfilmers Dsiga Wertow. Die Fünfziger stehen im Zeichen des russischen Folklorismus und zeittypischer Sujets. Zu »Festtag in der Kolchose«, einer Klaviersuite, will sich der Komponist nicht mehr bekennen, er bekrittelt von heute vielmehr die Situation auf dem Lande in Sowjetzeiten und weist zornig auf die Funktionäre, von denen er selber einer war. Die Sechziger - »Tauwetter«, Jugend bricht auf, Jewetuschenko, Wosnessenski poetisieren ihr Lebensgefühl - sind »seine Jahre«. Sie prägen, politisieren, sensibilisieren den glutvollen Künstler. Wosnessenski wird sein Freund und wichtiger Impulsgeber.

Schtschedrins Karriere als Vorsitzender des Komponistenverbandes der RSFSR endet mit dem Zerfall der UdSSR. Fortan scheint er von Neuem die Ärmel hochgekrempelt zu haben, strebend zu unendlichen Ufern, frei schwingend, singend wie der Vogel. »Die Vögel werden aus dem Käfig gelassen, es wird so geschrieben, wie man schreiben möchte, wie man empfindet«, bekennt der Weltgewandte in der der Perestroika-Zeit.

Berühmt inzwischen nicht minder der Pianist Schtschedrin. Noch der alte Mann wird nicht müde, eigene Stücke öffentlich aufzuführen. Der hohen Kultur seiner Einspielungen inne zu werden, ist die reine Lust. Seine kompositorisch-pianistische Arbeit ist drängend, vital, ja stürmisch und zugleich von großer Innigkeit. Fantastisch die Kraft, über die der Spieler verfügt hat. Bei einer Europatournee mit der Leningrader Philharmonie unter Jewgeni Mrawinski 1974 soll Schtschedrin in einem Ritt seine drei bis dato komponierten Klavierkonzerte aufgeführt haben. Unterdes liegen sechs Klavierkonzerte vor. Zwischen 1966 und 1973 brillierte er mit den Melodia-Einspielungen seiner 24 Präludien und Fugen und dem »Polyphonen Spielheft«. Eine famose Leistung. Sie ist neuerdings in der »Edition Rodion Shchedrin« bei WERGO gebannt.

Schtschedrin wusste stets mit Errungenschaften der Avantgarde umzugehen. Das heißt, er hat sie sich als so stolzer wie schöpferischer Russe, beschlagen in vielem, was russische Kunst- und Volksmusik geschichtlich ausmacht, einverleibt und auch wieder davon gelöst. Ein Balanceakt.

Seit fast 50 Jahren ist er mit einer der berühmtesten Tänzerinnen des vergangenen Jahrhunderts verheiratet, Maja Plissezkaja. Am Sonntag wird Rodion Schtschedrin achtzig Jahre alt.

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