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Erkenntnisse einer Kitschnudel
Jörg Sundermeier ist durch mit schwarzen Rollkragenpullis
Es gibt viele Erklärungen für das Wort Kitsch. So wird es etwa aus dem Jiddischen abgeleitet, in dem das Wort »verkitsche« so etwas bedeutet, wie etwas überteuert zu verkaufen. Es gibt auch die Erklärung, dass es aus dem Ruhrgebiet kommt, wo, wer kitscht, den Dreck zusammenkehrt. Kitsch ist mithin schlecht.
Das interessiert mich, der ich eine bekennende Kitschnudel bin, selbstredend. Denn ich freue mich sehr darüber, wenn’s glitzert, wenn alles viel zu viel ist, wenn die Emotionen überschießen. Ich könnte nun behaupten, dass das, was ich so liebe, campy sei, also von jenem Begriff Camp abstammend, den Susan Sonntag prägte, und der eben eine Kunst der Überpointierung meint, oft in Zusammenhang mit Queerness steht und von Purist*innen gern benutzt wird, um die eigene Liebe zum Glitzer- und Emo-Zeugs abzugrenzen von jener der gewöhnlichen Kitschnudel.
Aber das ist es nicht, ich mag einfach, wenn in Filmen die Geigen weinen, die Erde von Engeln erfüllt und die großen Gefühle so groß sind, dass sie nicht mehr in einen Menschen passen. Früher, als ich noch in schwarzen Rollkragenpullis herumlief, versuchte ich mir irgendwelche Theorien zusammenzuschustern, warum ich gerade die Stellen in Jazzstücken besonders mochte, wo das Saxofon besonders cheesy klingt und jene Stelle gleich zweimal gespielt wird, bevor das Schlagzeug den Seelenkäse wieder zerstückelt. »Durch die Ironie hindurchgehen« nannte ich das. Aber mal ehrlich: Tatsächlich war ich erlöst, wenn in der ganzen Kakofonie ein paar Fetzen Klischee waren, an denen mein biederes Ich sich festhalten konnte, während mein gebildetes Ich verächtlich darüber lachte.
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Kitsch generell nicht zu mögen, heißt, sich darstellen, wurde mir klar – genauso wie es performativ ist, nur Kitsch zu mögen. Selbst ein tumber Horst wie Donald Trump wird wohl den pompösen Goldquatsch, den er bis ins letzte Eckchen des Weißen Hauses pappen lässt, weniger mögen als den Effekt, den er dem Zeug zuschreibt. Dieser lautet: Schaut her, wie reich ich bin!
Und genau das ist der deutsche Kern des protzigen Amerikaners; wie alle Deutschstämmigen will Trump stets die Nachbarn beeindrucken. Das berühmte Loriot’sche »mehr Lametta« auf dem Tannenbaum soll gar nicht in die Wohnung leuchten und dort die Lieben beseelen. Nein, es soll nach draußen scheinen, aus dem Wohnzimmerfenster hinaus, es ist ein Zeichen. Dafür erträgt man das Geleuchte und Geglimmer tagein und nachtaus, denn es füttert das Schwarze der Seele und nährt die Missgunst. Die Vorgartenfiguren schauen immer zur Straße, nicht zum Haus – diese Bescherung ist allein für die anderen.
Wir Kitsch-Aficionados aber wissen: Das hilft nicht. Man sollte den Kitsch schon wirklich mögen, meinetwegen sogar als kulturindustriell verseuchtes Subjekt affirmieren, weil einem auch eh nichts anderes mehr übrigbleibt. Wenn mir der blinkende Weihnachtsmann genauso wie der Elchpulli wirklich gefällt, dann habe ich es vielleicht durchstanden, bin durch die Ironie hindurch – und das nicht nur zur Weihnachtszeit.
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