Aufstieg der Slopaganda

Das Internet der Gegenwart wird überschwemmt von massenproduziertem »KI-Schrott« mit Rechtsdrall

  • Roland Meyer
  • Lesedauer: 7 Min.
Vorfahrin des »KI-Schrott«: eine analoge Realität des Schreckens in den 1980er Jahren
Vorfahrin des »KI-Schrott«: eine analoge Realität des Schreckens in den 1980er Jahren

Let’s go back! So lautet das Versprechen eines ganzen Mikrogenres KI-generierter Videoclips, die seit Monaten die sozialen Medien fluten. Für eine kurze Minute wollen sie uns aus der als bedrückend empfundenen Gegenwart in eine vermeintlich bessere Vergangenheit entführen. Zum Beispiel ins Jahr 1985, das in diesen Videos stets so ausschaut wie in den Hollywood-Filmen der Zeit: Eine lichtdurchflutete amerikanische Vorstadtidylle, in der perfekt gestylte Teenager mit Fönfrisuren und College-Jacken in Videospielhallen abhängen oder auf der Ladefläche des Pickup-Trucks Pizza essen – und den Betrachtenden vorschwärmen, wieviel erfüllter doch ein Leben ohne Smartphones und Social Media war. Was machst Du überhaupt noch im Jahr 2025? Die Achtziger warten auf dich!

Solche sentimentalen Kurzvideos sind nur eines von vielen Beispielen für den sogenannten AI Slop (zu deutsch: »KI-Schrott«): synthetischer Content von fragwürdiger Qualität, der massenhaft als Clickbait auf Social Media dient. Er soll die Aufmerksamkeit der User*innen lange genug fesseln, damit sich das Ganze für die Produzent*innen finanziell lohnt. Dank KI-Tools wie Open AIs Sora und Googles Nano Banana können Accounts mit einschlägigen Namen wie »r3tro.vibe« oder »Maximalnostalgia« ohne nennenswerte Mehrkosten nahezu endlos diese synthetischen Zeitreisen in die Tiktok-Feeds spülen, stets darauf spekulierend, dass zumindest einer der Clips viral geht und über die Monetarisierungsangebote der Plattformen entsprechend entlohnt wird. Um unterschiedliche Generationen zu bedienen, sind als fiktive Zeitreiseziele nicht nur die 80er, sondern ebenso die 90er und 2000er Jahre im Angebot.

Ästhetik der Trump-Ära

Es entbehrt nicht der Ironie, dass der ebenso nostalgische wie virtuelle Ausstieg aus dem Jahr 2025 in jenem Mediengenre stattfindet, das für unsere wenig hoffnungsvolle Gegenwart steht. Das traditionsreiche Wörterbuch Merriam-Webster hat »Slop« gar zum Wort des Jahres gekrönt. Und nicht wenige Beobachter*innen sehen im KI-Schrott die dominante Ästhetik der Trump-Ära und des aufkommenden digitalen Faschismus. Trump selbst ist spätestens dieses Jahr zum globalen Superspreader von KI-generierter »Slopaganda« geworden: vom berüchtigten »Trump Gaza«-Video bis zu jenem Clip, der ihn am Steuer eines Kampfjets dabei zeigt, wie er die Protestierenden der No-Kings-Demos buchstäblich mit Kot bombardiert.

Auch die Social-Media-Accounts verschiedener US-Regierungsbehörden teilen mittlerweile regelmäßig KI-generierte Memes und Videos, die ganz den Aufmerksamkeitsimperativen der Clickbait-Ökonomie angepasst sind. Nicht selten setzen auch sie dabei auf Sehnsüchte nach vermeintlich besseren Vergangenheiten. So postet das US-Arbeitsministerium seit dem Sommer regelmäßig KI-generierte Propagandaposter in Retro-Ästhetik mit teilweise geradezu faschistoid anmutender Bildsprache. Unter Slogans wie »American Workers First« werben da blonde junge Männer für eine industrielle Zukunft, die man der MAGA-Anhängerschaft als Rückkehr in eine Mid-Century-Idylle weißer Vorherrschaft und männlicher Dominanz präsentiert.

Im Vergleich dazu erscheinen die synthetischen 80er-Jahre-Vibes der Tiktok-Nostalgie-Accounts zunächst regelrecht harmlos. Doch das täuscht. Denn die Mittelschichts-Vorstadtwelten des Reagan-Amerikas, die in diesen Clips beschworen werden, sind ebenso exklusiv weiß und heteronormativ wie die Retro-Idyllen der Trump-Propaganda. Nostalgie ist also nicht nur verführerisch, sie kann auch jederzeit politisch eingesetzt werden – vor allem, wenn das eigene verklärte Bild der Vergangenheit in der Gegenwart durch all jene bedroht erscheint, die in ihm nicht vorgesehen sind.

Nostalgische Technologie

Generative KI bietet sich für die Produktion nostalgischer Bildwelten besonders an, weil die Technologie selbst strukturell nostalgisch ist. Denn um ein Bild der Gegenwart oder gar der Zukunft zu generieren, kann sie nur auf Bilder der Vergangenheit zurückgreifen: Für das Training der Modelle werden bekanntlich riesige Mengen von Bildern und Videos aus dem Internet abgesaugt, die naturgemäß ausschließlich Vergangenes abbilden. Dieses gewaltige virtuelle Archiv unserer visuellen Kultur bildet nun den Horizont aller vermeintlich neuen Bilder und Videos, die sich mit der Software synthetisieren lassen.

Die eigentliche Stärke generativer KI liegt also in der Variation und Rekombination des bereits Vertrauten. Das hat inzwischen auch Hollywood erkannt. Der jüngste Deal zwischen Disney und OpenAI stellt in dieser Hinsicht einen Wendepunkt dar. Gerade Disney war in der Vergangenheit berüchtigt dafür, das eigene »geistige Eigentum« mit allen rechtlichen Mitteln zu verteidigen. Nun aber investiert man nicht weniger als eine Milliarde Dollar in eine Firma, die zuvor beim Training ihrer KI-Modelle keinerlei Rücksicht auf Urheberrechte genommen hat und gewährt ihr exklusiven Zugang zum eigenen Rechtekatalog.

Die eigentliche Stärke generativer KI liegt in der Variation und Rekombination des bereits Vertrauten.

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Künftig können nun die User*innen von Open AIs Videosoftware Sora ihre eigenen KI-Clips mit Darth Vader, Spiderman oder Mickey Mouse generieren und auf Disneys Onlineplattform teilen. Das Archiv des Hollywood-Giganten wird so als AI-Slop-Ressource erschlossen. Disney verspricht sich davon offenbar zweierlei: Der Konzern will die Kontrolle über sein wertvollstes Kapital nicht verlieren und dieses zugleich für die Ära von generativer KI, Social-Media-Memes und personalisiertem Content neu (und nach Möglichkeit gewinnbringend) erschließen. Für die User*innen wiederum werden die Heldenfiguren ihrer Kindheit virtuell unsterblich und bevölkern nun als Avatare einen nie endenden Strom von synthetischem Content. Nicht weniger als bei den Tiktok-Zeitreisen geht es also um die Bewirtschaftung nostalgischer Sehnsüchte.

Zugleich entsteht mit dieser automatisierten Fan-Art etwas, das als Kitsch zweiter Ordnung bezeichnet werden könnte. Kitsch im modernen Sinne war ein Produkt des Industriezeitalters: Maschinelle Produktionsverfahren machten seit dem 19. Jahrhundert die massenhafte industrielle Nachahmung historischer Stile möglich, einstmals handwerkliche Formen lösten sich vom Material und wurden beliebig übertragbar. Für Theoretiker des Kitsches wie den italienischen Künstler, Philosophen und Kunstkritiker Gillo Dorfles entstand Kitsch immer dort, wo ästhetische Formen durch massenhafte Reproduktion trivialisiert und ihrer inneren Notwendigkeit beraubt wurden. Zu seinen Lieblingsbeispielen zählte etwa die Mona Lisa, die nun Badehandtücher und Käseverpackungen ziert.

Industrielle Kitschproduktion bediente sich dabei vorwiegend bei vorindustriellen Formen – sie leugnete ihren eigenen maschinellen Charakter, den sie zugleich umso mehr verriet. »AI Slop« als Kitsch zweiter Ordnung dagegen ist ein Produkt des gegenwärtigen Plattformkapitalismus, in dem nahezu sämtliche kulturellen Äußerungen die Form digitalen Contents angenommen haben. Dank Streamingdiensten und Videoplattformen ist nahezu das gesamte Archiv der Kulturindustrie digital verfügbar geworden und wird nun zur Datenressource statistischer Variationen des immer Gleichen.

Linkes Bedürfnis nach Überlegenheit

Aus linker Perspektive allerdings ist der Kitsch-Begriff selbst immer schon verdächtig, und zwar aufgrund seiner elitären Schlagseite. Wer etwas als Kitsch bezeichnet, so der Vorwurf, wolle damit vor allem die Überlegenheit des eigenen Geschmacks ausstellen und sich vom vermeintlichen Massengeschmack absetzen. Die angeblich rein ästhetische Differenz von Kitsch und Kunst diene so vor allem der sozialen Distinktion.

Nicht von ungefähr ist »Kitsch« als analytischer Begriff daher in den letzten Jahrzehnten aus der Mode geraten. Ganze akademische Disziplinen wie die Cultural Studies haben sich dem Projekt verschrieben, in jenen Produkten der Populärkultur, die zuvor dem Kitsch-Vorwurf ausgesetzt waren, eigensinnige und widerständige Potenziale zu entdecken. Ist es da nicht ein Rückfall in überkommene elitäre Denkmuster, wenn nun die KI-generierte Bilderflut als »Schrott« und Kitsch denunziert wird? Bieten die KI-Tools vielleicht die Chance einer Demokratisierung der kulturellen Produktion?

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Es gibt Gründe, hier zumindest skeptisch zu sein. Nicht allein, weil die KI-Modelle mit den ästhetischen Klischees der Vergangenheit auch deren rassistische und sexistische Diskriminierungen reproduzieren, ja häufig verstärken. Es wäre außerdem ein Fehler, »AI Slop« als populäres Phänomen misszuverstehen. Denn auch wenn sich einzelne Genres durchaus gewisser Beliebtheit erfreuen – als Gesamtphänomen wird das Ganze von vielen User*innen als (nicht allein ästhetische) Zumutung empfunden. »KI-Schrott« existiert nicht, weil es eine Nachfrage danach gibt, sondern weil die Plattformen ihn uns meist ungefragt in die Feeds und Timelines spülen. In dieser Hinsicht gleicht er eher Spam als kulturindustrieller Produktion.

Wo Hollywoodstudios und Plattenlabels versuchten, den Geschmack ihres Publikums möglichst passgenau zu bedienen, ist »AI Slop« vor allem an die Distributionsbedingungen sozialer Medien angepasst. Sein Erfolg bemisst sich primär an seiner Verbreitung, und um diese zu steigern, nutzen seine Produzent*innen gezielt die Reaktionsökonomien der Plattformen aus. Es ist zirkulationsoptimierter Content, sein eigentliches Zielpublikum sind die Empfehlungsalgorithmen der Plattformen. Der Kitsch zweiter Ordnung simuliert eine vergangene Welt der spätindustriellen Konsumgesellschaft, die noch darauf zielte, unsere Wünsche zu manipulieren. Zugleich übt er uns ein in eine Welt, die vom unstillbaren Daten- und Ressourcenhunger digitaler Plattformen beherrscht wird.

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