Weltuntergang: »Jedenfalls nicht gleich«

Leider ist nicht die Einsicht, sondern oft nur die Katastrophe der beste Lehrer der Menschheit - zumindest kurzfristig

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Gedanke an den Weltuntergang ist ein Spiel, das die Kunst seit jeher betreibt. Zugleich ist es eine Warnung an unsere planetare Selbstanmaßung.

Einen Weltuntergang wird es nie geben. Aber natürlich wird die Erde untergehen - die wir in selbstverständlicher Arroganz mit Welt gleichsetzen. Die Erde wird verschwinden und jene Kraft, die das bewerkstelligt, wird sich nicht darum scheren, dass auf dem Planeten vielleicht gerade - endlich! - die gerechteste Ordnung aller Zeiten errichtet wurde. Das hält keine Supernova davon ab, zu bersten. Keinen Asteroiden, treffsicher zu sein. Und der Sonne geht auch mal die Hitzepuste aus. So sind die Aussichten. Vielleicht geschieht der ganz große Kollaps in Milliarden Jahren, vielleicht früher.

Das wäre eine Katastrophe gleichsam höherer Bestimmung. Aber da wäre noch der andere mögliche Untergang. Der atombetriebene, der naturzerstörende. Es wäre zuvörderst wohl »nur« ein Verschwinden unserer Gattung, nicht der Erde. Wir sind schwach, Viren nicht. Es ist somit unvorstellbar geworden, dass es je wieder eine Situation auf dem Planeten geben könnte, in der die Menschheit selbstvernichtungsunfähig wäre. Wir leben auf einem Niveau maximaler Selbstmordfähigkeit, das seit Hiroshima nicht mehr unterboten werden kann.

Deshalb gelingt es uns nicht wirklich, die Erzählung des Maya-Kalenders im rein Sagenumwobenen zu belassen. Allem Amüsement über eine so düstere wie naive Prophetie wohnt eine bittere Erkenntnis inne: Es ist ein fataler Ehrgeiz der Menschheit geworden, Gott so ähnlich zu werden, wie es Sterblichen nicht zukommt. Die Furcht vor sich selber wurde daher das einzig angemessene Selbstverständnis moderner Menschen, und diese Furcht hat nur Sinn, wenn sie eine - heilige Furcht ist. Unsereins, als Gattung, hat nicht nur zuerst vom Baum der moralischen, sondern auch von dem der physikalischen Erkenntnis gegessen, sogar mit künstlichen Paradiesen sind wir bekannt geworden (Faust, du gieriger Schlund!) und haben (utopiegeil!) von simulierten Erkenntnisbäumen hypothetische Äpfel gepflückt, die uns längst im wirklichen Hals stecken blieben.

Die Lösung? Jene Katastrophen, die wir auslösen können, wären nur zu stoppen durch das Erschrecken über die Katastrophe, die wir sind. Der politische, ökologische Zustand der Erde öffnet den Einlass in eine Bewusstseinsform, die fortwährend mit dem Schlimmsten rechnen muss: Der Tag danach ist der Tag davor, ist der ewige Vorabend dessen, was immer schon geschehen sein wird.

Sich mit dem Schluss-Spruch des Maya-Kalenders zu befassen, ist ein Spiel. Es ist das Spiel, das die Kunst seit Jahrtausenden betreibt - weil sie in der Kluft zwischen Vorgeblichkeit und Vergeblichkeit leidet. Paradox: Kunst malt alles Gespenstische übermäßig aus, um es besser bewältigen zu können. Die Malerei der apokalyptischen Reiterei reicht von den uralten Meistern bis zu den tief verzweifelten, bös bedrängenden Filmen von Andrei Tarkowski und Lars von Trier (»Melancholia«).

Erweist sich der Gedanke an den endgültigen Untergang letztlich als wahrer Lehrmeister der Menschheit? Wie der Wert der Freiheit erst durch deren Verlust aufscheint? Wahrscheinlich. Vorrangig die Auslöschung reißt Gedächtnis auf für das Wahre, Gute, Schöne. Erst die sehr bittere Wahrheit aus dem Mund eines Arztes lässt uns, angesichts gefährdeten Lebens, den Baum vorm Fenster, den blauen Himmel und das Windrauschen der Wiesengräser plötzlich als ein Wunder wahrnehmen. Noch nie ging eine Politik, eine Gesellschaft prophylaktisch, also unpanisch und freiwillig, gar freudig auf Forderungen zu, die mit Umkehr, Gierdrosselung, mit Ent-Sorgung gefährlicher Potenziale zu tun hatten.

Die Geschichte der Kommunikation ist eine Geschichte der Warnungen, die niemand hören wollte. Ob es sich um Klima, Kernkraft, Krieg oder andere Formen der Natur- und Menschenverknechtung handelte: Das Unglück verhindernde »Vorher« ist keine Lehrzeit in der Schule des Lebens, erst das »Danach« findet Schüler, deren Aufnahmeprüfung freilich im Nachweis genügend großer Erschütterung bestehen muss.

Offenbar von Natur aus verschleppt sich der Mensch nur immer in neue Verstrickungen - unterm Regime einer fatalen Koalition aus Optimisten, Kühnheitspredigern, Technokraten, verblendeten Bastlern in Kabinetten und Laboratorien und den Hybriden eines unersättlichen Hangs zum Endverbrauch. Erst das Feuer schafft gebrannte Kinder.

Einzig die Katastrophe also vermag wie eine Sonde ins Tiefere der Intelligenzschichten vorzudringen. Um wenigstens den Stand unserer Unbelehrbarkeit auf lebbarem Niveau zu halten. Mehr ist nicht zu verlangen. Es gehört zu den großen Traurigkeiten, dass auch dies katastrophische Lernen von entsetzlicher Kurzfristigkeit gezeichnet ist.

Das Gedicht zur Lage stammt von Günter Kunert. »Über einige Davongekommene« schrieb er: »Als der Mensch/ unter den Trümmern/ seines/ bombardierten Hauses/ hervorgezogen wurde,/ schüttelte er sich/ und sagte:/ Nie wieder.//Jedenfalls nicht gleich.«

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