Werbung

Bettler, Gauner, Huren

Tom Finnek: Sein Roman »Gegen alle Zeit« spielt 1724 in London

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.

Tom Finnek hat für diesen seinen zweiten London-Roman wieder einen Ort und eine historische Epoche gewählt, von der wir wenig wissen und in die wir mit Spannung eintauchen, zumal er das Ganze mit einem leicht verdaulichen Brocken Kulturgeschichte der besonderen Art unterfüttert. Er nimmt die Leser mit in das London des Jahres 1724 und dort in die dunklen, dreckigen Elendsviertel, wo Gaunerei, Prostitution und Gewalt an der Tages- und Nacht-Ordnung sind. Mit dem Protagonisten und der ganzen »mitspielenden« Personage kleiner Leute tauchen wir ein in die Welt der Kaschemmen, Hurenhäuser, finsterer Verliese, Friedhöfe und Abwasserkanäle. Da tummeln sich die Ratten und die legendären Gauner wie der Räuberhauptmann und Ausbrecherkönig Jack Sheppard oder der Dieb und Räuber Joseph Blake, genannt »Blueskin«. Wo und wie die einmal enden werden, ist von Anfang an leicht zu erraten, nämlich auf dem Karren zum Galgen, auch wenn uns die »Bettleroper« (»Beggar's Opera«) von Gay und Pepusch, die ja ausgerechnet in dieser Zeit entstanden ist, ein freundlicheres Ende vorgaukelt.

Kennt man die »Bettleroper« nicht so genau, weiß man zumindest einiges davon aus Brecht/ Weills »Dreigroschenoper«. Mit »Mack the Knife« (wir sagen einfach »Mackie Messer«) ist im Roman ein ganzes Kapitel überschrieben. Dem Dichter John Gay und dem Komponisten Johann Christoph Pepusch begegnen wir in Gestalt hübscher Figuren und Karikaturen ihrer Zeit, ebenso wie dem von diesen beiden wiederum karikierten Opernkomponisten Georg Friedrich Händel. Der ist aber längst nicht so wichtig wie andere Personen, etwa der selbsternannte »Generaldiebesfänger« Jonathan Wild, der im kriminellen Londoner Unterwelt-Milieu sein Unwesen treibt, oder Edgworth Bess, mit richtigem Namen Elizabeth Lyon, eine in alles verwickelte, ebenso verruchte wie verführerische Hure.

Es ist nun schon deutlich geworden, dass es in dem Roman mit seinem bunten Panorama armer Leute ebenso kompliziert zugeht wie in den dunklen Gassen und Kanälen Londons und dass das alles ziemlich spannend und mehrschichtig ist. Manchmal verläuft sich der Autor ein bisschen zu sehr, etwas weniger hätte genügt. Trotzdem sei nun endlich etwas Ordnung in diese Draufschau gebracht. Von dem Protagonisten war ja bisher noch gar nichts gesagt: Das ist nämlich der Schauspieler Henry Ingram, genannt »Captain Macheath«. Der findet sich nach einer heftigen Premierenfeier zur »Bettleroper« in einem dunklen, stinkenden Kellerverlies wieder und begreift nur langsam, dass er um dreihundert Jahre zurück, ins London des 18. Jahrhunderts, versetzt worden ist. Schon wird er in einen Gefängnisausbruch mit abenteuerlichen Folgen verwickelt. Zum Glück hat er sich als Schauspieler mit all dem, was nun geschieht, schon vorher beschäftigt und weiß, was bevorsteht. So kommt er auch gerade noch so mit dem Leben davon und - natürlich - am Ende wieder in die Gegenwart. Schade ist es allerdings um seine gerade entflammte Liebe zur Hure Bess. Doch auch hier lässt der Autor noch etwas Raum für Geheimnisvolles.

Tom Finnek: Gegen alle Zeit. Roman. Ill. Tina Dreher. Ehrenwirth. 541 S., geb., 19,99 €.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -