Schaulaufen in Wiesbaden

In der hessischen Hauptstadt wird demnächst der OB gewählt

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.
In Hessens Hauptstadt Wiesbaden findet am 24. Februar eine Oberbürgermeisterwahl statt. Kann die CDU dabei entgegen dem 2012 in Frankfurt, Stuttgart und Karlsruhe sichtbar gewordenen Trend den OB-Posten in einer wichtigen Großstadt halten?

Helmut Müller lächelt, gibt sich staatsmännisch und siegessicher - Wiesbadens Oberbürgermeister geht im Vorfeld der OB-Wahl am 24. Februar Reizthemen nach Möglichkeit aus dem Wege. Denn die Bilanz des CDU-Politikers, der den Politikbetrieb und die Nähe zur Wirtschaft aus jahrzehntelanger Arbeit als Berater und Büroleiter für CDU-Größen wie Helmut Kohl oder Roland Koch kennt, bietet für den Wahlkampf durchaus Angriffsflächen.

Müller gilt als Protagonist von Privatisierungen und eifriger Betreiber umstrittener Großbauprojekte, sein Name ist eng verbunden mit der skandalträchtigen privaten Elitehochschule European Business School (EBS) im nahen Oestrich-Winkel. Diese erhielt die vom Land Subventionen in zweistelliger Millionenhöhe und will in der Landeshauptstadt mit Hilfe einer kommunalen Zehn-Millionen-Spritze eine juristische Fakultät einrichten. Als im Herbst die Sache zu heiß wurde und der Landesrechnungshof die Subventionspraxis zugunsten der EBS rügte, zog sich Müller rasch aus dem EBS-Stiftungsvorstand zurück.

Im Rathaus stand Müller mehrere Jahre lang an der Spitze einer Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP. 2010 zerbrach dieses Bündnis, die damalige Grünen-Kreisvorsitzende Christiane Hinninger hatte darauf hingearbeitet. Sie ist inzwischen Fraktionschefin der Rathaus-Grünen und kandidiert ebenfalls für die OB-Wahl - als einzige Frau. Beobachter räumen ihr Chancen auf einen Achtungserfolg ein. Ob sie es nach Stuttgarter Vorbild allerdings in die Stichwahl schafft, bleibt abzuwarten. Denn auch SPD-Kandidat und Fraktionschef Sven Gerich eilt seit Wochen von Termin zu Termin. Ein Manko des rechten Sozialdemokraten: Er ist eine feste Stütze der 2011 begründeten lokalen CDU/SPD-Koalition, seine Angriffe auf Müller wirken moderat. Müller und die SPD hatten vor der Kommunalwahl im Frühjahr 2011 hoch und heilig versprochen, die kommunalen Dr. Horst-Schmidt-Kliniken nicht zu privatisieren. Wenig später folgte der Wortbruch.

OB Helmut Müller war bei der Direktwahl 2007 mit 65,6 Prozent der Stimmen ins Amt gekommen. Angesichts einer Wahlbeteiligung von 26,9 Prozent entsprach dies einem Rückhalt im Wahlvolk von 17,6 Prozent. Ihm kam damals zugute, dass die SPD unter dubiosen Umständen ihren Bewerber nicht fristgerecht angemeldet hatte. Rechte Sozialdemokraten nutzten diesen Umstand, um den damaligen lokalen SPD-Chef und Agenda 2010-Kritiker Marco Pighetti als »Sündenbock« hinzustellen und zum Rückzug aus allen Ämtern zu drängen. Pighettis Abgang ebnete den Weg für die spätere Koalition der SPD mit Müllers CDU.

Turbulenzen im Vorfeld der OB-Wahl erlebt diesmal die Piratenpartei. Sie hatte im September den Unternehmer Hans-Jörg Tangermann zum OB-Kandidaten gekürt. Bei der jüngsten Sitzung des Wahlausschusses zogen der Kreisvorsitzende Bernd Fachinger und der Stadtverordnete Michael Göttenauer als Vertrauenspersonen der Partei diese Kandidatur überraschend und »in letzter Minute« zurück.

Nun fehlt Tangermanns Name auf dem Stimmzettel für die OB-Wahl. Dieser Coup war mit keinem Parteigremium abgesprochen und könnte den Kreisverband spalten. Tangermann spricht von »Putsch«, seine Kritiker werfen ihm »eigenmächtiges Handeln« bei der Wahlkampfplanung vor. »Es ging nicht um Themen, sondern nur noch um Tangermann«, sagt der Stadtverordnete Hendrik Seipel-Rotter. Beobachter argwöhnen, Fachinger habe in Tangermann einen Rivalen bei einer künftigen Landtagskandidatur gesehen. Die Piraten bilden mit zwei Stadtverordneten der LINKEN eine Rathausfraktion, die Fachinger als Fraktionsmitarbeiter beschäftigt. Die LINKE schickt keinen eigenen OB-Kandidaten ins Rennen und will eine Empfehlung auf der Basis von »Wahlprüfsteinen« abgeben.


280 000 Einwohner

In Wiesbaden, der zweitgrößten Stadt Hessens, wohnen rund 280 000 Menschen. Insgesamt haben etwa 12 000 Unternehmen vom Handwerksbetrieb bis zu größeren Konzernen ihren Sitz in der Stadt. Im bundesdeutschen Kaufkraftvergleich erreichte Wiesbaden im Jahr 2011 einen Index von 114 (Deutschland: 100), was in etwa einer Kaufkraft pro Einwohner von 22 400 Euro entspricht (München: 27 550 Euro). (nd)

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