Eine Kunst für alle Tage

»Axel Bertram. Grafisches Gestalten in fünf Jahrzehnten«: Eine Fundgrube ist dieses Buch

  • Elmar Faber
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist vermutlich das Schönste, was einem Künstler passieren kann, man zitiert ihn, ohne sich sogleich seines Namens zu erinnern. Ein Vers, ein Text, ein Bild, ein Lied ist in uns steckengeblieben. Unser Gedächtnis bewahrt in seinen Vorratskammern etwas auf, das ihm wichtig gewesen und geblieben ist. Etwas ist zu unserem Eigenen geworden. Vielleicht beschreibt das den Begriff der Volkstümlichkeit.

Nun scheint sich diese Beobachtung freilich zuerst auf unser kanonisiertes Bildungsgut zu beschränken, auf die Dichtung, die Musik, die großen Werke der bildenden Kunst. Aber was ist mit unserer Alltagskultur, mit den häufig anonymisierten Entwürfen zu unserer täglichen Lebenswelt? Welche Urheber davon behielten einen Platz in unserer Erinnerung?

Es bedurfte großer Meister ihres Fachs, um Gegenstände, Begleiter unseres täglichen Lebens, unserer Lieb- und Leidenschaften beim Namen zu nennen, Lampen, Möbel, Teppiche, Porzellane, Fotografen, Buchumschläge, Plakate und viele andere Schnurrpfeifereien der angewandten Kunst und Grafik. Johann Friedrich Böttger, Gustav Klimt, Walter Gropius und die Bauhauskünstler, Heartfield mit seinen Fotomontagen, Georg Salter mit den Buchumschlägen, Klemke und die bunten Titelblätter des »Magazins« werden lebendig, eine illustre Gesellschaft, deren Kunstprodukte zu Synonymen geworden sind.

Einer dieser großen Gebrauchskünstler ist Axel Bertram, über dessen Schaffen gerade ein neues, ein resümierendes Buch erschienen ist. »Axel Bertram. Grafisches Gestalten in fünf Jahrzehnten« heißt der etwas nüchterne Titel, hinter dem sich ein Zauberwerk verbirgt. Bertram war ein Kind des DDR-Sozialismus, dessen utopischen und antifaschistischen Entwurf er guthieß, und der ihm eine Schulbildung aufhalste, die ihn schon als Abiturient auf den Bildungsgrad eines heutigen Bachelors hochriss. Danach studierte er an der Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee, einem Kunstinstitut mit hervorragenden Lehrern wie Werner Klemke, Arno Mohr und Klaus Wittkugel, die den Sachsen mit Berliner Witz und Weltwissen versorgten, und die sich selbst in einer Tradition fühlten, die Kunst nicht nur als meditativen Ort, sondern als Schule des Lebens begriff und als Abenteuer, den Dingen um uns herum eine solche Gestalt zu geben, dass sie uns gefielen - und uns nützten.

Axel Bertram - so scheint es mir - war, als er diese Kunstschule verließ, schon ein fertiger Mann, nicht schon in allen Verästelungen seines vielseitigen grafischen Denkens, aber im Anspruch an die Qualität seiner Formgebungen, die nun, scheinbar mühelos, wie ein unerschöpflicher Quell aus ihm hervorsprudelten. Wenn man sich das Inhaltsverzeichnis des Bertram-Buches ansieht, die Muster seiner Buch-, Zeitungs- und Zeitschriftengestaltungen bestaunt, Titelgrafiken, Poster und Plakate bewundert, Schriften und Signets begutachtet, die er geschaffen hat, Münzen und Briefmarken vorbeiziehen lässt, denen er das Gesicht gab, grafische Blätter und Illustrationen verinnerlicht, die er literarischen Stoffen beistellte und seine feinsinnigen, fast poetischen Texte zu Fachthemen liest, dann weiß man, dass hier ein Multitalent am Werke ist, durchwebt vom Atem eines zerrissenen Zeitalters.

Das »Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit« nannte es Bertram und glaubte, dass seine Kunst keine Solitäre schaffe, sondern er als Gestalter in Dienst gestellt sei, um für jede neue Aufgabe eine angemessene Lösung zu finden. Klemke hatte das vormals als »Anverwandlung« interpretiert, nicht im Sinne von Anpassung, mehr im Sinne von kooperativem Widerstreben. Und so bewundern wir in Bertrams Schaffen nicht irgendwelche Muster von Beliebigkeit, sondern - obwohl er keine Solitäre will, nur die demokratische Verbreitung seiner gebrauchsgrafischen Vorstellungen - gerade das Einmalige seines Designs.

Wer Konstantin Simonows »Kriegstagebüchern« aus dem Verlag Volk und Welt begegnet ist, wird Bertrams karge grafische Aufrisse auf den Umschlägen nicht vergessen, das blendende Weiß in Konfrontation zu den schwarzen Kreuzen und ruinösen Gebälken. Noch immer erinnere ich mich schaudernd an ein Buch aus den sechziger Jahren, »Welch Wort in die Kälte gerufen«, Verse zur Judenverfolgung, auf deren Umschlag Bertram den jüdischen Leuchter von einem glanzvoll besternten Symbol in ein Feuerzeichen hinüberwechseln ließ. Nach wie vor bestaune ich »Das Buch Hiob«, jene alttestamentarische Geschichte, die Bertram 2003 neu herausgegeben und mit 68 Schabblättern versehen hat und für die er - der Schriftgestalter - eine eigene Satzschrift entwickelte und außerdem einen Kommentar beisteuerte über seine Annäherung als Zeichner und Kulturkritiker an den anstrengenden Stoff, der einem zum Staunen bringt. Ich könnte Geschichten erzählen über seine Kulturgeschichte der Schrift namens »Das wohltemperierte Alphabet«, die uns auf einer Frankfurter Buchmesse aus den Händen gerissen wurde, weil plötzlich die Zunft der modernen Werbedesigner und Digitalclaqueure den Nutzen der tradierten Schriftmuster entdeckte, die Bertram in geradezu enzyklopädischer Sicht in neues Licht rückte.

Das war es, was sich feststellen ließ, Bertram hatte Einfluss, großen Einfluss sogar, auf das Formbewusstsein unserer Zeit, mehr noch vielleicht durch seine Zeitschriftengestaltungen als durch seine Bücher. Schließlich war es legendär geworden, in welchem Maße er Layout oder Titelgrafik von DDR-Zeitschriften wie »Sibylle«, »Wochenpost« oder »NBI (Neue Berliner Illustrierte)« bereichert oder umgestoßen hatte. - Auch ins »nd« flossen seine Ideen ein. - Künstlerische Plakate für das Metropoltheater in Berlin blieben ungewöhnlich. Entwürfe für Briefmarkenserien, Gedenk- und Zahlmünzen erwärmten das Sammlerherz, weil sie den Gegenstand, eine zu ehrende Persönlichkeit, oder ein Kulturdenkmal - trotz massenhafter Auflage - nicht banalisierten.

Bei weitem ist damit nicht alles gestreift, was Bertrams Künstlerpersönlichkeit ausmacht. Immerhin hat es der Mann verstanden, in zwei Gesellschaften zu arbeiten, erfolgreich, ohne an Haltung zu verlieren, ohne Überzeugungen wie lästiges Beiwerk über Bord zu werfen, weil die Winde der Zeit in verschiedene Richtungen bliesen.

Das Buch ist eine Fundgrube, ein Überblickswerk über Meisterliches, ein Vademekum der Gebrauchsgrafik. Dass es dazu geworden ist, ist auch dem Sohn des Künstlers, Mathias Bertram, zu verdanken, der einfühlsame Begleittexte geschrieben und als Buchgestalter für das Oeuvre des Vaters ein Gefäß und eine Form gefunden hat, die dem bedeutenden Designer würdig ist. Man wünscht sich, dass das Buch des Leipziger Lehmstedt-Verlages viele künstlerisch interessierte Menschen erreicht. Es ist, über sein eigentliches Anliegen hinaus, ein Beitrag zu einer kulinarischen Buchkunst, geeignet zur Sammlung und zu Zerstreuung.

Axel Bertram. Grafisches Gestalten aus fünf Jahrzehnten. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Mathias Bertram. Lehmstedt Verlag. 224 S., geb., 39,90 €.

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