Unkultur des Unter-den-Tisch-Kehrens

Die ThyssenKrupp-Führung wird sich bei der Aktionärsversammlung mit viel Kritik konfrontiert sehen

Der skandalgeschüttelte Stahlkonzern ThyssenKrupp muss über die Vorgänge der jüngsten Zeit aufklären. Ob der darin verstrickte Aufsichtsratschef Cromme dies leisten kann?

Bei der Hauptversammlung von ThyssenKrupp dürfte es hoch hergehen. Angesichts der zahlreichen Skandale, Milliardenverluste und gestrichener Dividenden beim Stahlkonzern werden viele Aktionäre ihrem Unmut Luft machen. Und vor dem Veranstaltungsort, dem Ruhrcongress in Bochum, wollen Nichtregierungsorganisationen gegen die Umweltschädigungen protestieren, die von einem ThyssenKrupp-Werk in Brasilien ausgehen. »Die mangelhafte Planung, Ausführung und Inbetriebnahme des größten Stahlwerks in Lateinamerika an der Bucht von Sepetiba hat die Existenz von 8000 Fischern vernichtet und bei der lokalen Bevölkerung zu schweren Gesundheitsschäden geführt«, kritisiert Marcos da Costa Melo von der Kooperation Brasilien aus Freiburg.

Der Dachverband der Kritischen Aktionäre, der draußen und drinnen aktiv sein wird, hat sich vor allem auf die graue Eminenz des Konzerns eingeschossen: »Gerhard Cromme personifiziert die Probleme bei ThyssenKrupp: die Unkultur des Unter-den-Tisch-Kehrens«, meint Verbandsgeschäftsführer Markus Dufner. Er wird mit einem Antrag auf namentliche Abstimmung über die Entlastung jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds im Gepäck die Hauptversammlung besuchen. Die linke Aktionärsvereinigung rechnet nicht mit einer Abwahl Crommes, denn der größte Anteilseigner, die Krupp-Stiftung, hält dem von ihr inthronisierten Chefkontrolleur weiter die Stange. »Aber das Eis wird langsam dünner«, so Dufner gegenüber der »nd«.

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) will Cromme noch eine Chance geben, die Aufklärung voranzutreiben. Er müsse aber in den kommenden Monaten liefern. Außerdem will die DSW notfalls mit Hilfe eines gerichtlich bestellten Sonderprüfers die zahlreichen Affären unter die Lupe nehmen lassen.

Die Liste der Verfehlungen ist in letzter Zeit länger geworden. Zwei neu errichtete Stahlwerke - neben dem in Brasilien auch eines im US-Bundesstaat Alabama - wurden zum Milliardengrab. Man hatte einst auf einen Boom von Billigstahl in Europa und Nordamerika spekuliert, was nicht zuletzt wegen der Weltwirtschaftskrise fehlschlug. Ferner ist der Konzern mit massiven Korruptionsvorwürfen konfrontiert und soll in einem Schienenkartell die Deutsche Bahn und Nahverkehrsbetriebe um hohe Summen geprellt haben. Zuletzt wurde publik, dass ThyssenKrupp einem IG-Metall-Funktionär und Journalisten Luxusreisen finanziert haben soll.

Mit einer guten Meldung kann die Führung immerhin aufwarten: Für die beiden Stahlwerke in Brasilien und den USA, die ThyssenKrupp 2012 zum Verkauf gestellt hat, gibt es offenbar erste Interessenten: Laut Wall Street Journal« bieten der weltgrößte Stahlkonzern ArcelorMittal und das US-Unternehmen Nucor für das Alabama-Werk je 1,5 Milliarden Dollar, die brasilianische Siderurgica Nacional möchte für 3,8 Milliarden sogar beide Werke übernehmen. Für die Kritischen Aktionäre ist dies nur bedingt eine gute Nachricht: Das Bündnis lehnt einen Verkauf ab, bevor alle Betroffenen durch ThyssenKrupp eine Entschädigung erhalten haben.

Die Kritischen Aktionäre fordern als Konsequenz aus den Skandalen »wirksame Mechanismen auf oberer und mittlerer Führungsebene« gegen Korruption und Missmanagement. Nötig sei die Einrichtung eines Whistleblower-Systems, um Verstöße intern anzeigen zu können. Unter dem aktuellen Aufsichtsratschef, ist sich Dufner sicher, wird es nicht vorangehen: »Mit Cromme gibt es keine neue Unternehmenskultur.«

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