Warum die Demnach-Grippe grassiert

MEDIENgedanken: »Opfer-Abo« ist das Unwort des Jahres, Sprache aber kommt noch durch andere Wörter zuschanden

  • Gottfried Braun
  • Lesedauer: 4 Min.

Hat sich eine Tageszeitung mit dem Gebrauch eines vertrauten Wortes zu befassen, abseits vom Thema des politischen Missbrauchs? Gewöhnlich nicht. Stößt sie jedoch auf einen Unglücksfall der Medienpraxis mit einer Fernwirkung, die sie selbst berührt, dann ist Nachdenken gefordert.

Zum Tatbestand: Seit Menschengedenken signalisiert das Wörtchen »demnach« eine Folgerung. Es ist gleichbedeutend mit »also, folglich, demzufolge«, wie Karl-Heinz Götterts »Neues Deutsches Wörterbuch« von 2012 bestätigt. Nach wie vor könnte das Adverb klärend dem Verknüpfen von Aussagen dienen, wäre nicht unter der Hand etwas Seltsames geschehen: Das Wort ist zuschanden gekommen.

Es begann spätestens vor drei Jahren. Mit einem Mal fanden sich in der deutschsprachigen Presse Nachrichtenpassagen der folgenden Art: »Bei dem Angreifer handelt es sich laut RIA Nowosti um einen 35-jährigen Firmengeschäftsführer. Die Polizei habe ihn festgenommen und Ermittlungen eingeleitet. Er befindet sich demnach auf freiem Fuß, darf aber Moskau nicht verlassen.« Als habe der Schreiber »demnach« mit »danach« im Sinne von »ihr/ihm zufolge« verwechselt, erhielt das Wort eine neue Funktion, die mit der bisherigen Bedeutung nicht das Geringste zu tun hat: Es soll auf eine zuvor genannte Quelle verweisen - hier Agentur oder Polizei.

Mitunter trat die Mutation ohne Rücksicht aufs Stilempfinden gleich mehrfach in einer Meldung auf; auch Synonyme ergriff sie in einer Kettenreaktion: »Eine Boeing der Fluglinie Air Berlin musste nach einem »Spiegel«-Bericht wegen Spritmangels bei einem Flug von München zur Insel Kreta eine Luftnotlage erklären. Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung habe den glimpflich ausgegangenen Zwischenfall demzufolge als »schwere Störung ohne Verletzte« eingestuft. Demnach mussten die Piloten den Landeanflug auf den Flughafen Heraklion abbrechen und durchstarten. Bei diesem nach Angaben der Bundesstelle gängigen Verfahren wurde der mitgeführte Treibstoff knapp. Die Piloten konnten aber noch sicher in Heraklion landen. Air Berlin wollte sich demnach unter Verweis auf »laufende Ermittlungen« nicht äußern.«

Es versteht sich, dass die umfunktionierten Adverbien hier und in gleichgelagerten Fällen nicht nur überflüssig sind, sondern verwirren. Unsere Sprache verkraftet durchaus Mehrfachbedeutungen von Wörtern. Doch der sich ausbreitende Doppelgebrauch von »demnach« ist kein Gewinn. Denn ein nicht völlig abgestumpftes Gehirn ist beim Lesen oder Hören irritiert, wenn das Adverb keine logische Beziehung anzeigt oder wenn offen ist, welche Bedeutung von »demnach« gilt.

Seit langem frage ich mich, wie es zur verqueren Neuerung kam - ein Dialekt war offenbar nicht im Spiel.

Erster Gedanke: Da ist ein Verlag auf eine dreiste Geschäftsidee verfallen und setzt sie mit journalistischen Helfershelfern um. Es leuchtet ja ein: Verliert ein Wort seine bisherige Bedeutung oder wird es doppeldeutig, dann stimmt die Übersetzung in andere Sprachen nicht mehr und sämtliche einschlägigen Wörterbücher sind veraltet. Wer nun zuerst mit aktualisierten Ausgaben auf den Markt kommt, gewinnt das Absatzrennen.

Zugegeben, ein allzu abenteuerlicher Erklärungsversuch.

Den Vorzug des Heiteren hätte folgende Deutung: Studierende der Medienwissenschaft erforschten die Ansteckungskraft sprachlich falscher Textelemente. Sie wollten ihrer Untersuchung Würze und Überzeugungskraft verleihen und gewannen Mitarbeiter einer Nachrichtenagentur für ein Experiment, das die lautliche Nähe von danach und demnach nutzte. Der Feldversuch hatte zumindest im journalistischen Bereich verblüffende Wirkung - wenn er sich zugetragen hätte.

Am plausibelsten erscheint freilich eine dritte Möglichkeit. Stimmen meine Beobachtungen, dann ging der deutschsprachige Dienst der Nachrichtenagentur Agence France Press (AFP) voran beim Wortmissbrauch. Es könnte sein, dass mindestens einer seiner Übersetzer kein Muttersprachler in Bezug auf Deutsch ist. Und dass fortwährendes Missgeschick beim Übertragen einer gewissen Wendung aus dem Englischen oder Französischen durch Ansteckung schließlich zur Pandemie gedieh.

Vielleicht gelingt es engagierten Fahndern den Entstehungsherd der Demnach-Grippe präzis zu ermitteln. Oder die von ihr infizierten Agenturen klären die Sache unter sich und treten vor die Öffentlichkeit. Dann wäre allerdings noch nicht die rasche Verbreitung des verkorksten Quellenverweises erklärt. Gaben Professoren von 135 deutschen geisteswissenschaftlichen Fakultäten einen indirekten Fingerzeig, als sie im vergangenen Sommer den schwindenden Wortschatz der Studierenden und deren Schwächen in der argumentativen Logik beklagten?

Ob das Demnach-Virus noch zu stoppen ist, bleibt offen. Immerhin, so scheint es, finden sich Spuren von Gegenwehr: richtiger Gebrauch von »demnach« an markanten Stellen in anspruchsvollen journalistischen Texten.

Der Autor ist Kommunikationswissenschaftler und lebt in Leipzig.

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