• Kultur
  • Reportage - Wittstock

Fallschirmjäger, Schmeling und Stalin

Der ehemalige Militärflugplatz Wittstock Alt Daber ist für Interessierte wieder offen

  • Robby Kupfer
  • Lesedauer: 4 Min.
Stille liegt über dem Platz. Nur das Schreien der Turmfalken stört die Ruhe. Dunkelviolett leuchtet das Heidekraut, flankiert ein 2400 Meter langes und 60 Meter breites Betonfeld, welches dieses scheinbar so friedliche Biotop zerschneidet. Aber friedlich war es hier, knapp fünf Kilometer nördlich von Wittstock, eigentlich nie. Zumindest die letzten gut 70 Jahre nicht. Spätestens als 1937 die deutsche Luftwaffe mit dem Bau des Flugplatzes vor den Toren der nordbrandenburgischen Stadt begann, war es auf dem riesigen, 330 Hektar großen Areal mit der Idylle vorbei. 1939 eröffnet, bildete die Luftwaffe hier bis 1945 vorrangig Fallschirmjäger aus. Der Kernbestand der noch heute imposanten Architektur stammt aus dieser Zeit. Insgesamt vier riesige Flugzeughallen und ein aus roten Klinkern gemauerter Kasernenkomplex sind zumindest als bauliche Hülle erhalten. Ansonsten für die Öffentlichkeit tabu, war der Militärflugplatz im März 1941 plötzlich Mittelpunkt einer groß angelegten Propaganda-Kampagne. Ursache war die Einberufung von Max Schmeling nach Wittstock Alt Daber. Seit Schmeling 1936 durch Knockout gegen den bis dahin ungeschlagenen, schwarzen Amerikaner Joe Louis Boxweltmeister geworden war, versuchten ihn die Nazis für ihre These von der »Überlegenheit der arischen Rasse« zu vereinnahmen. In einer mehrseitigen Fotoreportage in der Fliegerzeitschrift »Der Adler« (herausgegeben »unter Mitwirkung des Reichsluftfahrtministeriums«) wurde der Boxer denn auch dementsprechend dargestellt: »Der große Sportsmann Max Schmeling hat sich freiwillig zu den Fallschirmjägern gemeldet. Er ist von Natur aus ein kämpferischer Mensch. So ist es für ihn selbstverständlich, dass er im Existenzkampf Großdeutschlands mit in vorderster Linie steht.« Den sechs Jahren Militärpräsenz während der Nazizeit folgten ab 1945 nahtlos 49 Jahre sowjetischer Inanspruchnahme. Wittstock Alt Daber wurde zu einem der größten und, der strategisch günstigen Lage wegen, einem der wichtigsten Fliegerhorste der Sowjets in der DDR. Schon 1953 wurde die ursprünglich nur 800 Meter lange Rollbahn zu einer mehr als zwei Kilometer langen Betonpiste ausgebaut. Beim Abzug der russischen Armee 1994 gab es insgesamt fünf Rollbahnen mit knapp sechs Kilometer Länge. Welche Bedeutung Alt Daber zugemessen wurde, zeigt sich auch daran, dass hier immer zuerst die neuesten russischen Jagdbomber auf dem Gebiet der DDR stationiert wurden. Der Bestand Anfang der 90er Jahre belief sich auf 39 MiG 29 und acht MiG 23. Sind die Kampfjets auch längst verschrottet oder nach Russland zurückgeführt worden, die baulichen Zeugnisse des Kalten Krieges prägen das riesige Areal bis heute. Die 50 halbrunden Bodendeckungen haben aufgrund ihrer massiven Bauweise selbst dem wütendsten Vandalismus getrotzt. In jedem stand einst ein Kampfjet, aus der Luft durch den Grasbewuchs der Bunker nahezu unsichtbar. Wesentlich brutaler hat sich die Zerstörungswut in den elf Jahren seit dem Abzug der russischen Armee in den anderen Gebäuden ausgewirkt. Im fußballplatzgroßen Hangar II liegen nicht nur stinkende Müllberge. Auch am Lenin-Denkmal machte man nicht Halt, meißelte in Handarbeit dem einstigen Führer des Sowjetvolkes die Gesichtszüge weg. Ob im ehemaligen Haus der Offiziere oder im Kommandantenzimmer, wo immer einmal Glasscheiben gewesen sind, bedecken nun Scherbenteppiche den Boden. Auch die Baustoffbeschaffung floriert nach wie vor. Zerstörte Wände, herausgebrochene Ziegel, großflächig mitgenommenes Parkett aus der einstigen Sporthalle - die Verbotsschilder rund um das Areal scheinen wenig Wirkung zu haben. Am 11. September, dem bundesweiten Tag des Offenen Denkmals, war all dies erstmals seit über zehn Jahren wieder legal zu besichtigen. Die Direktorin der Wittstocker Museen Alte Bischofsburg, Antje Zeiger, hatte für diesen Termin eine Sondererlaubnis zum Betreten der militärischen Hinterlassenschaft eingeholt. Mehr als 150 Interessierte kamen trotz strömenden Regens zur Führung. Inzwischen gibt es Dutzende Anfragen nicht nur aus Wittstock, die sich nach einer Wiederholung der Expedition in die Vergangenheit erkundigen. Möglich, dass Zeiger deshalb den besuch des Platzes in das Repertoire ihres Museums aufnehmen wird. Antje Zeiger ist mit Historie und Gegenwart des Platzes bestens betraut. So war sie unter anderem schon am 19. Juni 1994 in besonderer Mission auf dem Areal gewesen. An diesem Tag startete um 13 Uhr die letzte russische Militärmaschine: »Bis 24 Uhr, bis zur Übernahme des Platzes durch die Bundeswehr, herrschte hier ein rechtsfreier Raum. Wir versuchten damals, für das Museum einige Fundstücke zu sichern, trafen aber auf Militaria-Sammler aus Baden-Württemberg, die sich wesentlich besser vor Ort auskannten als wir.« Die Bundeswehr hat - anders als auf dem nur wenige Kilometer entfernten Bombenabwurfplatz Kyritz-Ruppiner Heide, dem Bombodrom - keine Pläne mehr mit dem Areal. Angesichts der wahllosen Zerstörungen der vergangenen elf Jahre möchte Antje Zeiger die Exkursionen daher auch als Impuls verstanden wissen: »Wir sollten endlich anfangen, über eine sinnvolle friedliche Nutzung des Areals ernsthaft nachzudenken.«

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