Doña Rosa gibt Gummi

Eine Unternehmerin aus Bogotá schafft mit alten Schläuchen Arbeitsplätze für Schneider

  • Knut Henkel, Bogotá
  • Lesedauer: 4 Min.
Ciudad Bolívar gehört zu den wegen Kriminalität und Perspektivlosigkeit berüchtigten Stadtvierteln der Hauptstadt Kolumbiens. Hier hat Doña Rosa ihre Werkstatt. Die Unternehmerin produziert Taschen, Rucksäcke und Geldbörsen aus Lkw-Schläuchen und Leder. Eine Geschäftsidee, die Erfolg hat und von der mittlerweile 25 Familien leben können.

Die Idee ist innovativ, der Name sperrig: »Re3-Recycling heißt unser Label und es steht für etwas Neues. Doch dabei greifen wir auf einen Rohstoff zurück, der ausgemustert wurde«, schmunzelt Ana Rosa Ariza und legt die Hand auf ein Stück Schlauch, dass Carlos Vargas gerade zugeschnitten hat. Er ist einer von zwei Männern, die mit scharfen Messern und stabilen Schablonen hantieren und die penibel gereinigten Lkw-Schläuche zuschneiden.

Gummi ist in dem kleinen zweistöckigen Wohnhaus, wo sich die Werkstatt von ARA Manufacturas befindet, der wichtigste Werkstoff. »Wir produzieren siebzig Prozent unserer Produkte derzeit aus recycelten Schläuchen«, erklärt Ana Rosa Ariza. Die kräftige Frau mit dem vollen Gesicht wird in der Nachbarschaft nur Doña Rosa genannt. Das hat seinen Grund. Die Leute haben Respekt vor der zupackenden Frau, die gerade ein drittes Stockwerk auf ihr schmales Werkstattgebäude setzen lässt. Das krallt sich, eingequetscht von zwei anderen Gebäuden, in einen Hang in Bogotás Stadtteil Ciudad Bolívar.

Zwei Arbeiter sind gerade dabei, die letzten Stahlstreben einzuziehen und die Elektrik zu verlegen. In ein paar Wochen sollen die 62 Quadratmeter zusätzliche Fläche bezogen werden. Das wird auch dringend Zeit, denn in den beiden Stockwerken darunter geht es sehr beengt zu. 28 Männer und Frauen aller Altersschichten sitzen da an Nähmaschinen, an Schnitt- und Arbeitstischen und produzieren Accessoires vom Portemonnaie über Kulturtaschen bis zum Laptop-Rucksack. Aus Gummi und auch aus Leder werden Schutzhüllen für Mobiltelefone, Tablets und Laptops gefertigt und nicht nur in Kolumbien verkauft. »Etwa zehn Prozent der Produktion gehen auf den nationalen Markt, 90 Prozent werden exportiert«, erklärt Doña Rosa und präsentiert eine rote Ledertasche im DIN A4-Format.

Mit Leder haben die meisten der Schneider in dem kleinen Betrieb angefangen. Auch Ana Rosa Ariza hat in einer kleinen Ledermanufaktur begonnen und sich dort hochgearbeitet. »Nach sechs Jahren war ich Geschäftsführerin und habe den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt«, erklärt die agile 50-Jährige. Mit drei Angestellten hat sie damals angefangen und irgendwann kam ihr die Idee, es mit dem Gummi der Schläuche zu probieren. Weiter unten, nur ein paar Straßen entfernt, befinden sich die Werkstätten, wo die Trucks repariert und gewartet werden. »Von hier geht es auf die großen Touren und so fallen Unmengen von Schläuchen an, die niemand mehr haben will. Da kam ich auf die Idee sie zu nutzen«, schildert Doña Rosa ihre Geschäftsidee. Die zahlt sich aus, denn beim Leder gibt es viel Konkurrenz und viel schlechte Qualität. »Da sind die Schläuche eine geniale Alternative - auch in Kombination mit Leder«, erklärt Schneider Delfin Peralta.

Die Verarbeitung von Gummi ist kein Problem, weil Zuschnitt und Vernähen ähnlich wie beim Leder funktionieren. »Das Packen wir und die Maschinen auch«, lacht Peralta. Er ist schon acht Jahre bei Doña Rosa und das gilt für mehrere der Älterren. Die haben wie Rosa Lena Rubio die Jüngeren mitgebracht. Nicht nur die eigene Tochter, auch die Schwester ist nun bei »Ara Manufacturas« angestellt. Das schafft nicht nur ein familiäres Verhältnis, sondern ist auch ausgesprochen attraktiv. Bei Doña Rosa wird mehr als der Mindestlohn und die Sozialabgaben gezahlt. Rund 60 Prozent liegt der Lohn über der von Gewerkschaften, Wirtschaft und Regierung ausgehandelten Mindestmarge.

»Die Leute sollen anständig leben können von ihrer Arbeit«, ist die Devise von Doña Risa. Sie stammt selbst aus einfachen Verhältnissen und konnte nur die Grundschule besuchen konnte. Eine Selfmade-Frau aus der Provinz ist sie, denn erst mit 20 Jahren kam sie aus dem Departamento Meta nach Bogotá. Damals musste sie lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.

Vieles hat sie sich selbst beigebracht. »Doch auf den internationalen Markt bin ich erst durch meine Abnehmer gekommen«, schildert Doña Rosa ihren Durchbruch. Der fand erst in den letzten Jahren statt als sie begann mit Javier Cardenas von Sapia zusammenzuarbeiten. Der stellt Schmuck und Dekorationsartikel her, beliefert den deutschen Fair- Trade-Anbieter Contigo aus Göttingen. In dessen Läden, rund 20 sind es derzeit, werden ausschließlich Produkte aus dem fairen Handel verkauft - von Deko über Kaffee bis zum Schal für die kalten Tage. Darunter eben auch die Recycling-Produkte von Doña Rosa sowie der Schmuck und die Handarbeiten, die Javier Cardenas produzieren lässt. Ein Glücksgriff für Doña Rosa und ihre ungewöhnliche Belegschaft. Die besteht aus überdurchschnittlich viel jüngeren und ausgesprochen erfahrenen Mitarbeitern. »Vor allem die Alten und die Jungen sind es, die es schwer haben, in Kolumbien eine faire Chance zu bekommen. Die einen gelten als zu unerfahren, die anderen als nicht mehr schnell genug«, ärgert sich die Unternehmerin. Sie plädiert für mehr Fairness am Arbeitsplatz und macht vor, wie das geht.

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