»Scheinreform« statt Agrarwende

Landwirtschaftspolitik im EU-Parlament

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Noch vor der Abstimmung über die künftige U-Agrarpolitik sind die meisten Vorhaben des zuständigen Kommissars bereits wieder passé.

Es ist von einiger Bedeutung, wenn die Europa-Abgeordneten im Straßburger Parlament am Mittwoch dazu aufgerufen werden, über eine Neuausrichtung der europäischen Landwirtschaft abzustimmen. Denn die Politiker entscheiden damit über die Verteilung von Geld - von sehr viel Geld. Jährlich fließen zwischen 50 und 60 Milliarden Steuereuro in die Taschen von Europas Landwirten. Das sind rund 40 Prozent des EU-Haushalts. Die Union bekennt sich seit Jahrzehnten zur Subventionspolitik ihrer Bauern. Diese haben sich daran gewöhnt - und an Gewohnheiten zu rütteln, das verträgt die meist noch klassisch konservativ geprägte Gesellschaftsschicht der Landwirte nur schlecht.

Weshalb die Sorge in den vergangenen Monaten groß war: Denn die EU plant Veränderungen, weil zumindest einige Akteure glauben, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Die Zeiten ändern sich, Geld wird woanders benötigt, um Europas Zukunft zu gestalten. Deshalb sollen nun bei den Agrarsubventionen Reformen her. Die Landwirte organisierten Widerstand - und das mit Erfolg.

Agrarsubventionen - Zahlen und Fakten

Agrarsubventionen sollen die Abhängigkeit der Landwirte von wetterbedingten Einflüssen abmildern und für eine insgesamt ausgewogene Marktsituation sorgen. Im Haushalt der Europäischen Union stellen die Beihilfen nach wie vor den größten Einzelposten dar: In diesem Jahr entfallen knapp 58 Milliarden Euro - rund 39 Prozent des Gesamtbudgets - auf Agrarsubventionen.

Es gibt aber verschiedene Kritikpunkte an dieser Art der Beihilfen. So macht der Agrarsektor derzeit nur noch etwa zwei Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung aus, weniger als sechs Prozent aller Arbeitskräfte sind in diesem Bereich beschäftigt.

Zudem sind die Subventionen ungleich verteilt, die Länder erhalten verschiedene Sätze. Besonders die osteuropäischen Staaten wollen das nicht länger hinnehmen. Derzeit ist Frankreich der größte Empfänger landwirtschaftlicher Beihilfen, Deutschland folgt auf dem zweiten Platz.

Umweltschützer und Bio-Verbände kritisieren außerdem, dass die Subventionen abhängig von der Größe der Nutzfläche gezahlt werden und unabhängig davon, ob und wie diese Fläche bewirtschaftet wird. In der Bundesrepublik fließen rund 300 Euro pro Hektar. Großbetriebe mit wenigen Mitarbeitern profitieren so am meisten. Europaweit bekommen 20 Prozent der Betriebe 80 Prozent der Mittel. In Deutschland erhalten 1,9 Prozent der Betriebe rund 30 Prozent der Zahlungen. grg

 

Den ersten Angriff auf ihre Pfründe konnten sie bereits im Februar weitgehend abwehren. Bei der Suche nach Kürzungsmöglichkeiten im mehrjährigen Finanzrahmen der EU scheuten die Staats- und Regierungschefs vor großen Einschnitten in die Agrarsubventionen zurück. Allen voran Frankreichs sozialistischer Präsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Teile ihrer Wählerschaft nicht verprellen wollten. Die Subventionen für Landwirte sollen also weiter reichlich fließen.

Der zweite Großangriff steht jetzt im Europaparlament bevor. Doch eigentlich ist auch er schon pariert, obwohl die Abgeordneten noch gar nicht abgestimmt haben. Denn Plenumsentscheidungen folgen meist weitgehend dem, was in den Fachausschüssen beschlossen wurde. Und die Landwirte konnten im federführenden Agrarausschuss punkten. Das heißt: nicht zu viel an den bisherigen Strukturen ändern. Vor allem: nicht zu viele Vorschriften für mehr Öko und Umweltschutz.

Das hatte dem rumänischen EU-Kommissar für Landwirtschaft, Dacian Cioloş, aber vorgeschwebt. Er hatte die Vorschläge zur Agrarreform ausgearbeitet - eine Aufgabe, die einige Beobachter dem bis dahin kaum bekannten Politiker nicht wirklich zugetraut hatten. Doch in Brüssel hieß es, Cioloş mache seine Aufgabe gut - was oft dann gesagt wird, wenn keiner der Interessenvertreter so richtig zufrieden ist. Den Repräsentanten von klassischer Landwirtschaft und Großbetrieben gingen die Neuerungen zu weit, Ökobauern und Umweltschützern dagegen nicht weit genug.

Einer der Hauptkritikpunkte: der Vorschlag, mindestens sieben Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche wieder der Natur zu überlassen. Die Vorgabe sollte ab 2015 für alle Betriebe mit einer Nutzfläche von drei Hektar und mehr gelten. Wer das Ziel nicht erreicht, soll weniger EU-Geld bekommen. Der Agrarausschuss, in dem mehrere Politiker selbst Landwirte sind, fand das zu anspruchsvoll. Erst Betriebe ab zehn Hektar sollten ihrer Meinung nach zum »Greening« verpflichtet werden. Nun soll die Einführung stufenweise passieren, sieben Prozent müssen erst 2017 erreicht werden, und wer sie nicht schafft, soll nicht durch Geldentzug bestraft werden.

Cioloş wollte zudem verhindern, dass Großbetriebe unbegrenzt viele EU-Subventionen einfahren. Bei 300 000 Euro jährlich sollte Schluss sein. Der Agrarausschuss weichte auch dieses Ziel auf, genau wie viele andere Details.

Als die Bundesregierung dann noch forderte, den Anteil der Greening-Flächen auf 3,5 Prozent zu begrenzen und die Subventionsgrenze zu kippen, platzte Cioloş Anfang Februar der Kragen. Eine »Scheinreform« werde er nicht mitmachen, polterte er.

Aber ihm wird nichts anderes übrig bleiben, denn die Würfel liegen nicht mehr in seinen Händen. Das Plenum wird morgen voraussichtlich den Beschluss des Agrarausschusses bestätigen. Dann geht es in Hintergrundverhandlungen mit den EU-Mitgliedsländern. Die Agrarminister haben sich zwar noch nicht auf einen Standpunkt geeinigt. Doch am Montag hieß es aus Verhandlungskreisen, dass sich die Vorstellungen der Minister den Beschlüssen des Agrarausschusses annäherten. Eher im Sinne der Bestandswahrung. Und weniger in Richtung einer richtigen Reform.

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