Immermüde Retter

»Sofia’s last Ambulance‹« von Ilian Metev

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Poster zum Film zeigt eine klitzekleine Ambulanz, die sich kopfüber in ein riesiges Räderwerk stürzt. Kein schlechtes Bild für den Alltag ihrer Besatzung im wirklichen, von Dokumentarfilmer Ilian Metev mit großem Einfühlungsvermögen abgefilmten Leben. Was Krassimir Jordanov, der stets übermüdete Arzt, Mila Michailowa, die mitteilungsfreudige Krankenschwester, und Plamen Slavkov, der schweigsame Krankenfahrer, Tag für Tag bei dem Versuch erleben, in Bulgariens Hauptstadt Sofia ein paar Menschenleben zu retten, hat tatsächlich die alptraumartige Qualität eines völlig aussichtslosen Versuches, ein übermächtiges Labyrinth in einer Nussschale zu bewältigen.

In Sofia mit seinen zwei Millionen Einwohnern versorgen zwei Jahrzehnte nach der Wende anscheinend nur noch 13 Ambulanzen die gesamte Bevölkerung. Krassi und Mila sind das einzige mobile Reanimationsteam in der Stadt - bei einer Toten zu warten, bis sie abgeholt wird, können sie sich wirklich nicht leisten. Auf dem Heimweg von diesem ergebnislosen Einsatz singen sie im Wagen: So viel zu tun noch im Leben, so viele Erfahrungen noch nie gemacht, heißt es in ihrem Lied, das damit einerseits überhaupt nicht auf den hanebüchen absurden Alltag dieser drei Nothelfer des Alltags passt und andererseits wahrscheinlich nur zu gut. Denn sie verdienen selbst nur einen Hungerlohn, sie sind arm wie die Menschen, denen sie zur Hilfe eilen. Das tägliche Frustrationspotenzial ist hoch.

Durchhaltevermögen wünscht man ihnen in der Notaufnahme, und das brauchen sie auch. Wenn 18 Einsätze gleichzeitig warten, kann man sich ausrechnen, bei wie vielen Patienten sie nur noch den Tod feststellen können. Manchmal sind es die normalen Fährnisse des Lebens, die der Rettung im Weg stehen. Eine falsch weitergegebene Blocknummer in einer Hochhaussiedlung, ein Junkie, der nicht von seinem Stoff lassen mag, oder eine Ehefrau, die nicht an einer korrekten Diagnose, sondern nur daran interessiert ist, ihren Mann ins Krankenhaus zu entsorgen.

Gegen Schlaglöcher, gestörte Funkanlagen, Telefonverbindungen mit endlosen Warteschleifen und die eigene marode Maschine hilft auch das Blaulicht nicht, und dass viele ihrer Kollegen lieber anderswo in der EU arbeiten, kann man innerhalb von Minuten nachvollziehen. Selbst die Serienmörder, so jedenfalls gibt Plamen die Erzählungen eines befreundeten Polizisten wieder, wandern lieber dahin aus, wo sie einen Nährboden finden, in die USA zum Beispiel. Serienmörder gibt es in Bulgarien deshalb offenbar nur so selten wie - Krankenwagen.

Wenn Mila während einer der häufigen Zigarettenpausen im Wagen einmal von einer Passantin sagt, das sei offensichtlich eine Frau, die wisse, was sie im Leben wolle, die schere sich auch nicht um andere, klingt das wie ein melancholisches Fazit ihres eigenen Lebens, das offenkundig (noch) unter ganz anderen Vorzeichen steht. Eilige Einsätze wechseln ab mit lakonischen Diagnosen in eigener, finanziell ziemlich hoffnungsloser Sache, beobachtet von ein paar fest installierten Kameras auf dem Armaturenbrett.

Mal führt viel Fahrerei dann doch nur vor die falsche Haustür, mal war es die richtige - und dann leidet der Zuschauer beim Abtransport mit den hilflosen (und im Bild zu ihrem Schutz nie gezeigten) Patienten, die sich im völlig ungefederten Wagen nicht einmal der Halteschlaufen bedienen können, die für das Personal von der Decke hängen.

Der Titel ist ein wenig reißerisch, aber was »Sofia’s Last Ambulance« tatsächlich dokumentiert, ist vor allem die tägliche Abnutzung durch die Lebens- und Arbeitsumstände in einem völlig maroden Gesundheitssystem. Gedreht über zwei Jahre, ist diese bulgarisch-deutsch-kroatische Koproduktion bei aller fernsehgängigen Kürze schon beinahe eine Langzeitbeobachtung. Vielleicht fühlt es sich deshalb fast an wie ein Spielfilm, die Figuren wie geschrieben, so perfekt sind sie aufeinander bezogen, so dass die Regie ganz ohne Kommentar und bei enger Kadrierung eine Dichte der Charakterisierung schafft, wie sie bei einem kürzeren Beobachtungszeitraum nicht immer zu erreichen ist.

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