Das absolute Auge

Berlin: Wiedereröffnung des Museums Berggruen

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Museum Berggruen ist eins der schönsten, bislang zumindest intimsten in Berlin, ein Publikumsliebling. Es war entstanden als Herberge für die exquisite Kollektion der Klassischen Moderne, die der 1936 vor den Nazis über die USA nach Paris geflohene Stifter Heinz Berggruen (1914-2007) den Staatlichen Museen zu Berlin zunächst als Leihgabe zugedacht hatte. Das 1996 eröffnete Museum im »Stüler-Bau« gegenüber dem Charlottenburger Schloss war seit Sommer 2011 geschlossen: Umbau, Erweiterung. Ab heute ist es wieder geöffnet.

Eine 22 Meter lange Pergola aus Stahl und Glas verbindet nun das ursprüngliche Museumsgebäude mit dem benachbarten Kommandantenhaus und gewährt den freien Blick in den künftigen Skulpturengarten. Dank der Verdoppelung der Ausstellungsfläche auf 1250 Quadratmeter werden künftig auch Wechselausstellungen möglich sein.

Das zuletzt doch ziemlich angefüllte Museum Berggruen hat nun endlich wieder Luft zum Atmen. Großzügig wurde der Stülerbau fast komplett Picasso gewidmet - neben Klee, Giacometti und Matisse einer der Fixsterne Berggruens. Es ist schon beglückend, die zahlreiche Schaffensphasen des spanischen Genies studieren zu können, von der spontanen, 2005 erworbenen Farbzeichnung »Picassos Ankunft in Paris« (1901) bis hin zum reifen »Maler und Modell« (1971) mit dem sehenden Blick des Künstlers. Picassos revolutionärer, vielansichtiger »Tête de femme« (1908/09) seiner Geliebten Fernande Olivier steht nun im Dialog mit einem scharfkantigen »Memorialkopf« aus dem Benin des 18. Jahrhunderts.

Das Sujet der anmutigen wie temperamentvollen Dora Maar hatte es Berggruen besonders angetan. Der Sammler suchte die betagte Dame in den 1980er Jahren öfter in ihrer Pariser Wohnung auf, ganz gewiss auch in der Absicht, der einstigen Geliebten des Womanizers Picasso einige besonders begehrte Bilder abzuringen. Eine der Highlights ist die kubistische Odaliske der »Femmes d’Alger« (1955), die sich Picassos Beschäftigung mit Delacroix‘ Sujet gleichen Namens (1834) im Louvre verdankt. Vermutlich reizte Picasso genau dieses Bild, da die rechts im Delacroix-Bild hockende Wasserpfeifenraucherin frappierende Ähnlichkeiten hat mit Jacqueline Roque, der neuen Lebensgefährtin und späteren zweiten Ehefrau des Künstlers. Übrigens erwarben die Kinder Berggruens dieses Picasso-Bild erst nach dem Tode des Vaters.

Die hohe Qualität der Werke wie auch die subtile Innenarchitektur der Raumsuite, die ganz auf aktuelle Mätzchen wie knallige Wandfarben verzichtet, sind dem erlesenen wie untrüglichem Geschmack Berggruens würdig, der von sich behauptete, »das absolute Auge« zu besitzen.

Großen Wert legte der soignierte Sammler übrigens auf Rahmen, die er akribisch auf die Werke abstimmte. Er favorisierte Originale aus dem 17. und 18. Jahrhundert und blätterte dafür meist fünfstellige Summen hin. Denn er war davon überzeugt: »Wenn man ihnen die Rahmen auszieht, stehen die Bilder sozusagen nackt da.«

Allein der Cézanne-Saal - komplett aus Leihgaben bestückt - lohnt einen Besuch des erweiterten Musentempels, wiewohl man sein »Mädchen mit Puppe« schmerzhaft vermisst. Psychologisierend hat der Maler um 1885 die eigene Frau erfasst, ihr Antlitz mit seinen chromatischen Farbleitern orchestriert. Gleiches gilt für das aquarellierte »Bildnis des Gärtners Vallier«, eines der letzten und luzidesten Werke des großen Meisters aus Aix-en-Provençe - und ein Geschenk von Heinz Berggruen an seine Frau Bettina. Zum Erfolgsrezept Berggruens gehört nicht zuletzt, dass er weniger in der Breite sammelte, sondern sich auf wenige Spitzenkünstler in der Tiefe konzentrierte. »Überlegen Sie, wo Sie sonst auf der Welt solche Qualität der Klassischen Moderne in dieser Kondensierung erleben können«, gibt Udo Kittelmann zu bedenken, Direktor der Berliner Nationalgalerie. Berggruen ist ganz bestimmt auf Augenhöhe mit der Fondation Beyeler in Basel oder der Fondation Maeght im südfranzösischen Saint-Paul.

Der zweite große Hausgott heißt Paul Klee - und ist der einzige Künstler seiner Kollektion, den Berggruen nicht mehr persönlich kennenlernen konnte. Klee genoss mit seinen poetischen Titeln wie »Landschaft im Paukenton« oder »Brauende Hexen« die besondere Sympathie des ehemaligen Feuilletonisten Berggruen. Kurz vor seinem Tod erwarb er das mirakulöse »Schiff II c im Hafen«: Das Wassergefährt wird überlagert von Klee-typischen Theatermetaphern und zwei wulstigen, korallenroten Lippen.

Bei Matisse wiederum interessierte den Sammler insbesondere das Spätwerk. Ungemein frisch wirkt die explosive Kraft der ausgelassen Tanzenden auf dem Umschlagentwurf »Verve IV« (1943) - auch dies eine Leihgabe. Berggruen kann sich rühmen, als Erster die Bedeutung der Scherenschnitte von Matisse erkannt zu haben.

Zum vergnüglichen Parcours durch die von Museumsleiterin Kyllikki Zacharias neu arrangierten Bilderräume, die dank ihrer Kleinteiligkeit den prononcierten Privatcharakter des Museums bewahren, gesellt sich mit dem Aufstieg in die höheren Etagen der zunehmende Blickwechsel auf das schneeverzierte Charlottenburger Schloss und den Zwillingsbau, der die surrealistische Sammlung Scharf-Gerstenberg beherbergt. Und wenn man sich wieder hinunterwendelt, dann kann man sich im Dokumentations-Saal ins VIP-reiche Fotoalbum Berggruens sowie dessen Pariser Galerie-Kataloge versenken. Durch den Zugewinn zahlreicher Spitzenwerke der Klassischen Moderne aus dem Erbe der Berggruen-Erben kann wieder ein bisschen mehr vom kulturellen Kahlschlag wettgemacht werden, den die Nazis in der deutschen Hauptstadt angerichtet haben.

Dem Publikum gewährt das Museum Berggruen, Schloßstr. 1, Berlin, am 17./18. März zwei Tage der Offenen Tür. Danach ist es geöffnet: Di-So, 10-18 Uhr. Katalog.

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