Flüssiger »Denkzettel«

Georgien droht bei Rückkehr von einheimischen Weinen in russische Supermärkte innenpolitische Krise

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf Chwanschkara - einen schweren, natursüßen Rotwein, den Stalin über alles geliebt haben soll, müssen die Russen auch künftig verzichten. Bis in die Region Ratscha an der Grenze zu Georgiens abtrünniger Region Südossetien, wo er hergestellt wird, schafften es die Controller aus Moskau bisher nicht. 200 andere Sorten indes befanden sie für astrein. Die sollen schon im April wieder in russischen Supermärkten stehen. Moskau hatte 2006 die Einfuhr georgischer Weine und Mineralwässer gestoppt und das mit Qualitätsmängeln begründet. Nicht ganz zu Unrecht: Abfüller in Russland hatten dafür gesorgt, dass in den Flaschen oft nicht drin war, was draufstand. Für den Kreml ein willkommener Vorwand, Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili einen Denkzettel für dessen prowestliche Politik zu verpassen.

Seit Oktober indes stellen Saakaschwilis Gegner die Regierung in Tbilissi. Und für Ministerpräsident Bidzina Iwanischwili hat die Normalisierung der Beziehungen zu Russland absolute Priorität. Angesichts gravierender politischer Probleme - Georgien betrachtet die von Russland nach dem Augustkrieg 2008 als unabhängig anerkannten Regionen Südossetien und Abchasien als Teil seines Staatsgebiets und wird darin vom Westen unterstützt - will man sich zunächst auf Handel und Wirtschaft konzentrieren. Tbilissi drängt vor allem auf Rücknahme des russischen Einfuhrstopps, durch das für Georgiens Winzer der wichtigste Absatzmarkt wegbrach.

Die Controller, die Russlands oberster Verbraucherschützer Gennadi Onnischtschenko - er hatte das Embargo seinerzeit in Kraft gesetzt - Anfang März in die Spur schickte, den Bann wieder aufzuheben, wurden in Tbilissi daher wie Staatsgäste empfangen. Sogar der Patriarch der Georgisch- Orthodoxen Kirche, Ilija II., gewährte ihnen eine Audienz und setzte sich damit öffentlich als Gegengewicht zu Noch-Präsident Saakaschwili in Szene, der die Prüfer zuvor im Slang der Gosse beleidigt hatte.

Premier Iwanischwili sprach nach dem Abschluss der Kontrollen von einem Durchbruch. Doch das war womöglich verfrüht und ein Eigentor. Ausgerechnet das Ende des Weinstreits könnte eine innenpolitische Krise in Georgien lostreten und Iwanischwili selbst gefährlich werden.

Bisher haben die russischen Verbraucherschützer nur 45 der 86 Keltereien in Georgien kontrolliert. Jede von diesen stellt mehrere Dutzend Sorten her. Welche genau vor den Augen der Prüfer Gnade fanden, ist bisher Staatsgeheimnis. Die Winzer werden daher langsam nervös. Gerüchte machen die Runde, wonach nur jene Unternehmen eine Exportgenehmigung bekommen sollen, die direkt oder indirekt von Bürgern mit russischem Pass kontrolliert werden. Schon muss sich Iwanischwili Kritik gefallen lassen, er und seine Regierung seien unfähig, die Interessen der nationalen Wirtschaft zu schützen. Andere werfen ihm sogar vor, jene Unternehmer zu bevorzugen, die seiner Hausmacht - dem Sechs-Parteien-Bündnis »Traum Georgiens« nahe stehen.

Ganz aus der Luft gegriffen sind die Vorwürfe nicht. Gleich zu Beginn ihrer Mission kippten die Controller das Einfuhrverbot für Mineralwasser der Marke Borshomi. Der Konzern gehört zum Firmengeflecht der russischen Alfia-Gruppe, deren Führung zu den verlässlichsten Machtstützen von Präsident Wladimir Putin.

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